Der Standard

Erdogan und Kurdistan: Die falsche Antwort

Was das Unabhängig­keitsrefer­endum der Kurden in der Türkei auslöst

- NURAY MERT erhielt 2017 die Vienna Journalism Fellowship, die Demokratie, Meinungsvi­elfalt und unabhängig­en Journalism­us fördert. Sie schreibt derzeit monatlich für den STANDARD. Mert ist Professori­n für Politologi­e an der Universitä­t Istanbul. Sie war Ko

Im März kommenden Jahres stehe ich vor Gericht. Der Grund: Ich habe eine Petition unterzeich­net, die eine friedliche Lösung des Konflikts mit den Kurden fordert, mehr nicht. Das ging der Regierung in Ankara offenbar zu weit.

Erdogan ist sichtlich nervös, weil sich die Kurden in einem Referendum für die Unabhängig­keit von der Türkei ausgesproc­hen haben. Das ist einigermaß­en verständli­ch, die Loslösung von der Türkei wird eine große Umwälzung in der Grenzregio­n nach sich ziehen. Nicht nur die ErdoganReg­ierung, sondern alle anderen Player in der Region sind durch diese Entwicklun­g beunruhigt.

Im Moment sieht es nicht nach einem Waffengang aus. Die Drohungen der Türkei gegen die kurdische Regionalre­gierung sind verhältnis­mäßig moderat, die angekündig­ten Wirtschaft­ssanktione­n scheinen unrealisti­sch. Erdogan hat zudem auch internatio­nal wenig Rückenwind. Wahrschein­lich hat er sich deutlich mehr vom jüngsten Staatsbesu­ch des russischen Präsidente­n Wladimir Putin erhofft. Anstatt über die kurdische Unabhängig­keit zu reden, ging es in den Gesprächen vorwiegend um den Waffenstil­lstand in Syrien. Später erklärte der Kreml auch noch, dass die Blockade der kurdischen Ölpipeline­s keine Option für Russland darstellt. Erdogans Staatsbesu­ch in Teheran muss als ein weiterer Versuch gewertet werden, einen Verbündete­n gegen die Kurden im Nordirak zu finden. Und auch diese Mission war wenig erfolgreic­h. Der Iran hat seine Grenzen bereits für die kurdische Regionalre­gierung geöffnet. Schließlic­h zeigt sich auch die irakische Regionalre­gie- rung offen gegenüber Verhandlun­gen mit dem kurdischen Präsidente­n Masud Barzani. Plötzlich wirkt die Türkei wie ein „einsamer Wolf“in der Region. Ein Phänomen, das wir in der Vergangenh­eit schon so oft beobachten konnten.

Trotzdem ist diese Krise vor allem eine innenpolit­ische. Die auf türkischem Staatsgebi­et lebenden Kurden werden künftig weiter marginalis­iert. Verbündete haben sie in der Türkei kaum noch. Selbst kurdische AKP-Abgeordnet­e schweigen. Nur wenige haben sich öffentlich für die Antirefere­n- dumpolitik ihrer Partei geäußert. Hinter den Kulissen dürften es mehr gewesen sein. Viele konservati­ven Kurden, die AKP-Anhänger sind, unterstütz­en gleichzeit­ig Barzani und seine Unabhängig­keitsbestr­ebungen.

Die Partei der Nationalis­tischen Bewegung (MHP) goss mit der Ansage, dass über 5000 ihrer Anhänger sofort losziehen würden, um die nordirakis­che Stadt Kirkuk zu verteidige­n, zusätzlich­es Öl ins Feuer. Dass die kurdische Regionalre­gierung nun auch Kirkuk in ihre Gebietsans­prüche de facto integriert (zum besseren Verständni­s: Kirkuk ist jene Stadt, die neben Mosul nach der US-Invasion 2003 hart umkämpft war und zuletzt von den Kurden vor einer Übernahme des IS bewahrt werden konnte), wollen die ultranatio­nalistisch­en Lager in der Türkei keineswegs akzeptiere­n.

Selbst die opposition­elle Republikan­ische Volksparte­i CHP unterstütz­t die Forderung der Regierung, Kirkuk in die Türkei einzuglied­ern. Das hat historisch­e Gründe: Der Streit um Kirkuk hat bereits nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zu Kontrovers­en geführt. Doch die CHP schließt sich momentan auch der scharfen Kritik der AKP an Barzani an.

Es scheint fast so, als ob mittlerwei­le Regierung wie Opposition­sparteien von der nationalis­tischen Welle im Land erfasst und daher nicht in der Lage sind, mit innenwie außenpolit­ischen Krisen umzugehen. Der Hass gegen die kurdische Bevölkerun­g zeigt sich auch im Alltag. Trauriger Höhepunkt war zuletzt das Begräbnis der Mutter der kurdischen Abgeordnet­en Aysel Tugluk. Der Leichnam der Frau musste von einem Friedhof in Ankara entfernt werden, nachdem ein Mob das Grab unmittelba­r nach der Trauerzere­monie geschändet hatte. Das war einer der traurigste­n Momente, die ich in meiner Heimat jemals erlebt habe. Vor kurzem wurden nun auch öffentlich­e Untersuchu­ngen gegen jene Akademiker eingeleite­t, die eine Petition für eine friedliche Lösung mit den Kurden unterzeich­net haben.

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Die türkische Armee operiert mit Panzern im (türkischen) Kurdengebi­et. Die Lage im Irak und in Syrien verkompliz­iert die Situation.

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