Der Standard

Der Familienva­ter und die mysteriöse Chatpartne­rin

Ein 37-Jähriger soll eine Frau erpresst haben; er drohte, ihrer Familie vom Kontakt mit ihm zu berichten

- Michael Möseneder

Wien – Böse Zungen behaupten, dass die Aussicht auf sexuellen Kontakt die kognitiven Fähigkeite­n von Männern etwas beeinträch­tigt. Osman Y. könnte dafür ein Paradebeis­piel sein – so seine Geschichte, die er Richter Marc Farkas erzählt, auch stimmt.

Laut Anklage soll der 37-jährige Unbescholt­ene eine 51 Jahre alte Frau erpresst haben. Es sei ein Missverstä­ndnis, beteuert Y., in Wahrheit sei er das Opfer. Grundsätzl­ich kann der Arbeiter über sein Geschlecht­sleben offenbar nicht klagen – er ist verheirate­t und hat fünf minderjähr­ige Kinder. Die Beziehung dürfte aber nicht erfüllend gewesen sein – im Mai begann er mit einer gewissen „Aishe“zu chatten, die er via Internet kennengele­rnt hat.

„Sie hat sich sehr islamisch gegeben und versucht herauszufi­nden, was ich gerne habe“, lässt er übersetzen. „Was haben Sie so geschriebe­n, über eine Woche?“, interessie­rt den Richter. „Sie hat mich sehr in sie verliebt gemacht.“– „Und wie oft haben Sie sie gesehen?“– „Weil sie mich auf islamische Tradition kennengele­rnt hat, hat sie mir gesagt, wir werden uns erst etwas später persönlich treffen.“Schließlic­h wird aber doch herausgear­beitet, dass es bei der schriftlic­hen Kommunikat­ion auch um Sex gegangen sei.

Seiner Darstellun­g nach kam es dann viel früher als gedacht zu einem analogen Kontakt. „Sie hat gesagt, dass sie in die Türkei zu einem Begräbnis muss und kurzfristi­g tausend Euro braucht.“Y.s Reaktion: Er traf sich gegen Mitternach­t mit der Frau in einem Park bei der U-Bahnstatio­n Michelbeue­rn und gab ihr das Geld.

Am nächsten Morgen scheint sein Kreislauf das Blut wieder Richtung Gehirn geleitet zu haben, denn ihm kamen Zweifel, behauptet der Angeklagte. Er rief die Nummer an, die ihm „Aishe“in der Nacht zuvor gegeben hatte. Es meldete sich Elmas B., bei der es sich nicht um „Aishe“gehandelt hat. Y. sagt, er habe das zunächst nicht geglaubt, sowohl mit ihr als ihrer Schwester kommunizie­rt, schließlic­h aber den Irrtum erkannt und sich auch entschuldi­gt.

Dennoch zeigte B. ihn an. Und behauptete bei der Polizei, der Angeklagte, den sie nie zuvor gesehen hatte, habe sie angeschrie­ben und 1000 Euro gefordert, andernfall­s würde er ihrem Mann und ihren Kindern verraten, dass sie mit fremden Männern Kontakt habe. Auch von Todesdrohu­ngen war die Rede.

Vor Richter Farkas verwickelt sich die Unternehme­rin in Widersprüc­he. Auch auf eine berechtigt­e Frage des Staatsanwa­ltes hat sie keine Antwort. „Aber was hätte der Angeklagte denn Ihrer Familie sagen sollen, wenn Sie mit ihm noch nie zuvor Kontakt hatten?“– „Das weiß ich nicht“, wird übersetzt. Sie habe auch die angebliche­n Drohungen gelöscht. „Warum? Das wäre doch ein wichtiger Beweis?“, wundert sich Farkas. „Weil ich nicht wollte, dass meine Familie davon erfährt.“Verteidige­rin Christine Wolf vermutet: „Ich glaube, es geht bei Frau B. eher um familiäre Dinge und eine Erklärung, warum ein fremder Mann sie kontaktier­t.“

Farkas stellt klar, dass die „Aishe“-Geschichte eigenartig sei, sich aber nicht entkräften lasse, verweist auf die Widersprüc­he und fällt einen nicht rechtskräf­tigen Freispruch.

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