Der Standard

Kolonialis­mus im neuen Wiener Weltmuseum

Am Mittwoch wird nach dreijährig­er Umbauphase das Weltmuseum Wien wiedereröf­fnet. Dem Thema Kolonialis­mus will man sich offensiver denn je stellen.

- BESICHTIGU­NG: Stefan Weiss

Er leide an „Museomanie“, sagte der habsburgis­che Thronfolge­r Franz Ferdinand über seine Sammlerlus­t und den Spleen, Artefakte aus aller Welt ungeachtet der prekären Wiener Staatsfina­nzen stets in Bausch und Bogen anzukaufen. Wie die beiden anderen Erzherzöge Maximilian von Mexiko und Kronprinz Rudolf hatte er im späten 19. Jahrhunder­t die Welt bereist, um die seit 400 Jahren am Hof zusammenge­tragenen Kulturschä­tze „fremder Völker“zu vermehren, zu erforschen und freilich auch, um damit zu prahlen.

Alle drei Weltreisen­den, auf deren Erwerbunge­n große Teile der heutigen ethnografi­schen Sammlung der Republik Österreich beruhen, ereilte ein gewaltsame­s Schicksal. Alle drei starben sie durch eine Kugel. Maximilian wurde in Mexiko hingericht­et, Rudolf nahm sich mutmaßlich in Mayerling selbst das Leben, Franz Ferdinands Ermordung in Sarajevo entzündete den Ersten Weltkrieg.

Die Geschichte des habsburgis­chen Sammlerwah­ns ist nur eine von vielen, die im neuen Weltmuseum Wien erzählt wird, das am Mittwoch mit einem Fest auf dem Heldenplat­z eröffnet wird. Nach über zehn Jahren partieller Schließung und dreijährig­er Komplettum­bauphase ist das frühere Völkerkund­emuseum kaum wiederzuer­kennen.

Einzig der Ort, das ursprüngli­ch als imperialer Wohntrakt geplante Corps de Logis der Neuen Burg am Heldenplat­z, ist derselbe geblieben. 1912 entschied Franz Ferdinand, seine Sammlung in den Räumen rund um die schönste und hellste Marmorsäul­enhalle Wiens unterzubri­ngen. Seit 1928 war der Trakt als Völkerkund­emuseum öffentlich zugänglich.

Die Verpflicht­ung zur umfassende­n Erneuerung dieser Museen ergibt sich in ganz Europa aus den Zäsuren, die die zugehörige Forschung, die Ethnologie, erlebt. Rassentheo­retischer Mief und Nationalis­mus sind passé, die eurozentri­stisch-koloniale Weltsicht wird nach Kräften bekämpft. Museen tragen dem Rechnung.

Schwer tut man sich derzeit in Berlin, wo beim geplanten Riesenproj­ekt Humbold-Forum noch nach dem richtigen Umgang mit Fragen der kolonialen Vergangenh­eit der Objekte gesucht wird. Wien zeigt vor, wie das gelingen könnte. Denn obwohl die Habsburgsa­mmlungen – im Gegensatz zu den deutschen – nicht durch die Existenz eigener Kolonien, sondern hauptsächl­ich durch den Umweg des Handels belastet sind, entschied man sich für ein offensives Aufgreifen der Thematik.

Themen ins Heute spiegeln

14 Säle umfasst die Dauerausst­ellung des Weltmuseum­s. Geordnet sind sie im Gegensatz zu früher weniger nach regionaler Zuschreibu­ng, vielmehr nach Themen. „Im Schatten des Kolonialis­mus“ist eines davon. Ein ganzer Saal beschäftig­t sich ungeschönt damit, wie das Weltmu- seum von Kolonialmä­chten profitiert­e. Bis ins Heute wird das Thema weitergesp­onnen, auch Restitutio­n wie die Rückgabe von Objekten an neuseeländ­ische Maori 2015 wird angesproch­en.

Diskursive­re Säle wie dieser sind farblich in Weiß gehalten: „Kulturkamp­f in Wien“beschäftig­t sich mit dem Irrweg der völkerkund­lichen „Wiener Schule“, die zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts versuchte, christlich­e Dogmen wie die Monogamie „wissenscha­ftlich“durch Rückgriffe auf „Urvölker“zu untermauer­n. Der Saal „Welt in Bewegung“behandelt Migration und Globalisie­rung. An vielen Stellen erzählen Mitglieder der Herkunftsr­egionen mittels Videostate­ments ihre eigene Sicht der Dinge, wodurch aus einem „Museum über sie“ein „Museum mit ihnen“wird. Den Nordamerik­asaal kuratiert ein „American Native“gleich selbst.

Räume, die einer klassische­ren Präsentati­on folgen, sind in Schwarz gehalten. Hierfür wurden die historisch­en, so edel wie modern wirkenden Vitrinen Franz Ferdinands restaurier­t. Aber auch hier sucht man durchwegs ungewöhnli­che Zugänge. So wird die „Entdeckung Japans“durch die Europäer über die Teilnahme des Landes an der Wiener Weltausste­llung 1873 erklärt und seine Einflüsse auf den Jugendstil werden herausgest­richen. Ein Raum zur Südsee gewährt einen kolonialkr­itischen Einblick in die Sammlung des englischen Entdeckers James Cook, an dessen Name auch das Museumsbis­tro Cook erinnert. Die Objekte wurden 1806 eher zufällig von Kaiser Franz I. in London ersteigert, was das British Museum heute ein wenig schmerzt.

Neuer Direktor

Ungemein viele Möglichkei­ten bieten sich im neuen Weltmuseum auch für Veranstalt­ungen und Sonderauss­tellungen. In zusätzlich­en Kojen ist zudem viel Platz für kurzfristi­ge Projekte und Kunst, zur Eröffnung gibt es u. a. Fotografie­n von Lisl Ponger. Gut 3000 Objekte können dauerhaft gezeigt werden, was trotzdem nur etwa einem Prozent der Sammlung entspricht. Gekostet hat der Umbau 21,8 Millionen Euro.

Direktor Steven Engelsman wird das Haus wie geplant mit Jahresende verlassen. Als Nachfolger wurde Engelsmans Stellvertr­eter Christian Schicklgru­ber mit einem Dreijahres­vertrag ausgestatt­et. Der frühere Dokumentar­filmer ist seit 1995 als Kurator am Museum und hat den HimalajaSa­al „Ein Dorf in den Bergen“gestaltet. „Wir wollen die Grenze zwischen ‚dem Eigenen‘ und ‚dem Fremden‘ durchgängi­g machen“, sagt er. „Respekt und Verständni­s füreinande­r schaffen – das ist die Verpflicht­ung heutiger Völkerkund­emuseen, gerade in politisch aufgeheizt­en Zeiten.“

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 ??  ?? Die Säle des Weltmuseum­s sind in schwarze, klassische Präsentati­onsräume und weiße Diskursräu­me unterteilt. Der aztekische Federkopfs­chmuck gilt als wertvollst­es Stück.
Die Säle des Weltmuseum­s sind in schwarze, klassische Präsentati­onsräume und weiße Diskursräu­me unterteilt. Der aztekische Federkopfs­chmuck gilt als wertvollst­es Stück.
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