„Man muss auch schöne Geschichten liegen lassen“
Als Direktor leitete Steven Engelsman seit 2012 die Neuaufstellung des Weltmuseums. Mit Jahresende zieht sich der Niederländer zurück. Das neue Museum sei international vorbildlich.
Standard: Was waren die größten Herausforderungen bei der Neuaufstellung des Weltmuseums? Engelsman: „Killing your darlings.“Wir haben so viele gute Sammlungen, so viele gute Geschichten zu erzählen, und das geht sich in 14 Sälen nun einmal nicht aus. Übrigens auch nicht in 19, wie vor der Redimensionierung. Man muss auch schöne Geschichten und Sammlungen liegen lassen. Die warten im Depot.
Standard: Sie sprechen die Verkleinerung der ursprünglichen Ausbaupläne aufgrund des Hauses der Geschichte an. Konnten Sie diese Planänderung wettmachen? Engelsman: Zum Teil. Was mich sehr freut, wir können nun doch im Februar 2018 einen Korridor des Staunens 2.0 eröffnen, in drei Ausstellungssälen im Hochparterre. Damit entsteht ein flexibles Ausstellungsmodul für große Auswahlen von Sammlungen aus dem Depot. Dieser Korridor wäre beinahe nicht möglich gewesen.
Standard: Wodurch zeichnet sich die Wiener Sammlung im Vergleich zu anderen besonders aus? Engelsman: Es ist die Breite der Sammlung, insbesondere die der Habsburgerzeit. Und deren Zustandekommen. In anderen Ländern sind es die Sammlungen aus den eigenen Kolonien, die die Völkerkundemuseen wichtig machen. Hier sind es Ankäufe und Geschenke an den Kaiser. Standard: Dennoch liegt über jedem Völkerkundemuseum der Schatten des Kolonialismus. Wie sind Sie damit umgegangen? Engelsman: Allen Kuratoren war es ein Anliegen, dieses Thema gut anzusprechen. Da brauchte gar nicht viel Überzeugungsarbeit geleistet werden. Wir haben einen eigenen Kolonialismussaal, der wirklich ein Alleinstellungsmerkmal ist.
Standard: Wie tief waren die Habsburger in die Kolonialgeschichte verstrickt? Engelsman: Sie haben am Rande ziemlich mitgemischt. Beim Wiener Kongress wurde die Welt neu aufgeteilt, und damit die Kolonien neu vergeben. Beim Berliner Kongress 1884/85 hat ÖsterreichUngarn die Teilung Afrikas mit in die Wege geleitet und dem König Leopold von Belgien zum Beispiel den Kongo überlassen. Eigene Kolonien hat es nicht gegeben, da hat Österreich wohl die Verwaltungskapazität dazu gefehlt.
Standard: Kritik gibt es derzeit an den Machern des völkerkundli- chen Humboldt-Forums in Berlin. Was läuft dort schief? Engelsman: Ein zu großes Projekt mit zu vielen Spielern. Der Kolonialismus wird nicht in einem separaten Saal behandelt, sie wollen es irgendwie miterzählen. Da kann passieren, dass man es gar nicht sieht. Außerdem gliedern sie nach Regionen, so wie es in den früheren Völkerkundemuseen üblich war. Wir sind nach Köln und Basel erst das dritte Museum, das thematische Zugänge wählt.
Standard: Wie gehen Sie mit Provenienz und Restitution um? Engelsman: Die Sammlung wurde von der KHM-Provenienzstelle sehr gut erforscht. Es gab auch schon Restitutionsfälle. Ein neues Projekt läuft derzeit mit Nigeria, wo wir Objekte austauschen und in die Rotation schicken wollen. Das ist sicher zukunftsweisend. Langfassung: pderstandard. at/kultur
STEVEN ENGELSMAN (68) ist seit 2012 Weltmuseum-Direktor und bleibt noch bis Jahresende. Zuvor leitete er das Völkerkundemuseum in Leiden.