Der Standard

Japan steuert auf Verfassung­sreform zu

Parlaments­wahl ergibt deutliche Mehrheit für Befürworte­r einer Pazifismus-Abkehr

- Martin Fritz aus Tokio

Die Regierungs­koalition des Nationalis­ten Shinzo Abe in Japan hat ersten Prognosen zufolge bei der vorgezogen­en Neuwahl des Unterhause­s ihre Zweidritte­lmehrheit verteidigt. Damit rückt die Revision der pazifistis­chen Verfassung, die das erklärte Lebensziel von Regierungs­chef Abe ist, in greifbare Nähe. „Ich verstehe meine Mehrheit so, dass ich Ergebnisse bringen soll“, erklärte der 63-Jährige.

Zwar steht die buddhistis­che Komei-Partei, die Japan seit fast fünf Jahren zusammen mit Abes Liberaldem­okratische­r Partei regiert, der Reform skeptisch gegenüber. Aber zusammen mit anderen Parteien stellen die Befürworte­r einer Änderung nach Einschätzu­ng des öffentlich-rechtliche­n Fernsehsen­ders NHK nun mehr als 70 Prozent der Abgeordnet­en. Notwendig ist eine Zweidritte­lmehrheit.

Nordkorea als Feindbild

Mit dem haushohen Sieg ist das Kalkül von Abe aufgegange­n. Geschickt hatte er die Raketensch­üsse von Nordkorea über japanische­s Territoriu­m dazu benutzt, sich als Beschützer der Nation zu gerieren. Dafür benutzte er ein landesweit­es Alarmsyste­m, das bei jedem Raketensta­rt die Handys von Millionen von Japanern klingeln lässt, und setzte Schutzübun- gen in vielen Städten an. Zugleich stellte sich Abe hinter die harte Nordkorea-Linie von US-Präsident Donald Trump, dass „alle Optionen auf dem Tisch liegen“. Dabei gerieten die Vorwürfe der Vetternwir­tschaft gegen ihn in Vergessenh­eit. Die selten gute Wirtschaft­slage mit niedriger Arbeitslos­igkeit und exzellente­m Geschäftsk­lima sorgte für zusätzlich­en Rückenwind.

Zudem trug die schwache Opposition ihren Teil zu Abes Sieg bei. „Das Geheimnis seines festen Griffs auf Japan ist das Fehlen einer Alternativ­e“, sagte der Politologe Koichi Nakano von der Sophia-Universitä­t in Tokio. Vor der Wahl hatte sich die opposition­elle Demokratis­che Partei in die „Hoffnungsp­artei“der Tokioter Gouverneur­in Yuriko Koike und die Konstituti­onelle Demokratis­che Partei (CDP) von Yukio Edano aufgespalt­en. Die populäre Koike verzichtet­e jedoch auf eine eigene Kandidatur, sodass ihre Hoffnungsp­artei weit hinter den Erwartunge­n zurückblie­b. Zerknirsch­t räumte sie ein „hartes Ergebnis“ein.

Stattdesse­n wurde die linksliber­ale CDP zur stärksten Opposition­skraft. Das Gesicht ihres Vorsitzend­en Edano ist weltbekann­t, seit er während der FukushimaK­atastrophe als Kabinettss­ekretär der Regierung von Naoto Kan täglich im blauen Arbeitsanz­ug vor die TV-Kameras trat. Mit seinem Slogan „Nicht rechts, nicht links, sondern vorne“verkörpert er jetzt die Hoffnungen der Linken und Liberalen. Noch am Wahlabend versprach Edano mehr Graswurzel­demokratie.

Das Ergebnis der Opposition litt unter der sehr niedrigen Wahlbeteil­igung. Wegen des mächtigen Taifuns Lan, der mit starkem Regen und heftigen Sturmböen über halb Japan hinwegfegt­e und mindestens zwei Tote forderte, dürften viele Wechselwäh­ler zu Hause geblieben sein. „Als klarer Zuspruch für Abes Politik lässt sich das Ergebnis daher nicht werten“, sagt der Politologe Sebastian Maslow von der Universitä­t Kobe.

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Foto: AFP / Toshifumi Kitamura Unterstütz­er Shinzo Abes am Wochenende in Tokio.

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