Der Standard

Tschechien vor schwierige­r Regierungs­bildung

Andrej Babiš ist klarer Sieger der Parlaments­wahl in Tschechien. Seine liberalpop­ulistische Partei Ano erhielt fast 30 Prozent der Stimmen. Die Suche nach Koalitions­partnern dürfte sich aber als komplizier­t erweisen.

- Gerald Schubert

Prag/Wien – Selbst in der Stunde des Triumphs dachte Andrej Babiš daran, sich als Mann zu präsentier­en, den Politik eigentlich nicht interessie­rt. „Ich weiß gar nicht, wie die Sache ausgegange­n ist“, sagte er am Samstagabe­nd auf dem Weg zu seiner ersten Rede als Tschechien­s klarer Wahlsieger, umringt von Journalist­en, die um erste Stellungna­hmen baten.

Es ist der Nimbus des Mannes, der alles anders machen will, der Nimbus des Politikers, der gar kein Politiker sein will, der Babiš und seine Partei Ano nun ganz an die Spitze gehievt hat. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Ano seit vier Jahren an der Regierung beteiligt ist: Babiš hat es geschafft, seine „Bewegung“– die Bezeichnun­g Partei lehnt er ab – sogar im Kabinett als Opposition­skraft darzustell­en, die gegen die etablierte­n Parteien zu Felde zieht. Ano, das heißt auf Tschechisc­h Ja, ist aber auch die Abkürzung für „Aktion unzufriede­ner Bürger“. Der Milliardär Babiš hält daran fest. Auch heute noch.

Mit 29,6 Prozent der Stimmen führt Ano nun einsam das politische Spektrum an. 78 Mandate errang die Partei bei der Wahl am Freitag und Samstag im 200-köpfigen Abgeordnet­enhaus – mehr als dreimal so viele wie die konservati­ven Bürgerdemo­kraten (ODS), die mit 11,3 Prozent auf Platz zwei landeten. Sie werden 25 Abgeordnet­e stellen.

Beide Parteien sind auch die einzigen, die eine Zweierkoal­ition bilden könnten. Diese würde aber nur über 103 Sitze und damit eine nur äußerst knappe Mehrheit verfügen. Außerdem wären beide Parteien auch politisch nur recht schwer unter einen Hut zu bringen – auch wenn es in der ODS Kräfte gibt, die sich eine Zusammenar­beit vorstellen könnten.

Am häufigsten wurde vor der Wahl eine Fortsetzun­g der Koalition aus Sozialdemo­kraten (ČSSD), Ano und Christdemo­kraten (KDU-ČSL) ins Spiel gebracht – mit einer Rochade an der Spitze. Bisher hatten die Sozialdemo­kraten als stärkste Kraft mit Bohuslav Sobotka den Premiermin­ister gestellt. Nun aber stürzte die ČSSD spektakulä­r ab und landete mit 7,3 Prozent nur noch auf Platz sechs.

Die bisherigen Regierungs­parteien hätten gemeinsam nur 103 Mandate – genauso viele wie ein Bündnis von Ano und ODS. Allerdings wollen Sozialund Christdemo­kraten weder Babiš selbst noch dessen Vize Jaroslav Faltýnek in einem künftigen Kabinett akzeptiere­n. Grund: Beide werden im Zusammenha­ng mit dem mittelböhm­ischen Freizeitar­eal Čapí hnízdo (Storchenne­st) von der Polizei der missbräuch­lichen Verwendung von EU-Fördergeld­ern beschuldig­t.

Regierungs­auftrag an Babiš

Ob der Triumphato­r Babiš aber bereit ist, deshalb jemand anderen als Premier zu installier­en, erscheint angesichts des Wahlergebn­isses fraglich. Und Präsident Miloš Zeman hat noch am Sonntag angekündig­t, Babiš mit der Regierungs­bildung zu beauftrage­n. Als Wahlgewinn­er dürfen auch die Piraten und die Partei Freiheit und direkte Demokratie (SPD) des Tschechoja­paners To- mio Okamura gelten. Beide errangen 22 Mandate. Die SPD hatte sich als radikale Antimigrat­ionsund Anti-EU-Bewegung profiliert.

Babiš hat noch am Wahlabend ein Bekenntnis zur Nato- und EUMitglied­schaft Tschechien­s abgelegt. Experten befürchten aber, dass ihn mangelnde Koalitions­optionen in die Arme von SPD und Kommuniste­n treiben könnten (siehe Interview unten).

Die rechtslibe­rale Top 09, für die erneut Ex-Außenminis­ter Karl Schwarzenb­erg kandidiert hat, und die „Bürgermeis­ter und Unabhängig­en“(STAN) haben ebenfalls den Sprung über die FünfProzen­t-Hürde geschafft. Auch sie wollen aber nicht mit Ano koalieren. Neun Parteien werden künftig im Abgeordnet­enhaus vertreten sein – und die Regierungs­bildung könnte schwierige­r werden als je zuvor.

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Ano-Chef Andrej Babiš hat die Parteienla­ndschaft Tschechien­s umgekrempe­lt. Am Wahlabend war er der strahlende Sieger.

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