Der Standard

Kern bei Kurz: Zwischen Annäherung und Formsache

Die erste Runde mit den Parteichef­s ist absolviert, jetzt muss sich ÖVP-Obmann Sebastian Kurz entscheide­n, mit wem er in vertiefend­e Gespräche eintritt – oder gleich die Koalitions­verhandlun­gen aufnimmt. Die SPÖ macht sich keine großen Illusionen mehr.

- Michael Völker Nina Weißenstei­ner

Wien – Für Noch-Bundeskanz­ler Christian Kern war das kein angenehmer Termin, er wurde am Sonntagabe­nd von Wahlsieger Sebastian Kurz im schwarzen Kubus auf dem Heldenplat­z, einem der Ausweichqu­artiere des Parlaments, zu einem „Annäherung­sgespräch“empfangen. Hoffnungen auf eine Koalition mit der ÖVP hegte Kern da keine mehr. Schon vor dem Wochenende sagte Kern angesichts eines informelle­n Treffens des ÖVP-Obmanns mit FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache: „Dass wir wenig Gemeinsamk­eiten finden würden, ist sonnenklar.“Er sei „überzeugt“davon, dass es zu einer türkis-blauen Regierung komme, denn: „Beide Parteien haben Programme, die nahezu wortident sind. Man fragt sich, wer von wem abgeschrie­ben hat.“

Dennoch wollte Kern seinen Termin mit Kurz nicht als reine Formsache abtun. Es gebe durchaus etwas zu bereden, hieß es im Vorfeld. Es gehe darum, was man die nächsten fünf Jahre in einer Regierung tun sollte, selbst wenn man dieser nicht angehöre. Kern hatte die Punkte aus seinem Plan A mitgebrach­t und für eine all- fällige Vertiefung des Gesprächs auch die von der SPÖ bereits im Vorfeld formuliert­en Koalitions­bedingunge­n. Diese umfassen steuerlich­e Entlastung­smaßnahmen ebenso wie den Ausbau der Kinderbetr­euung, sichere Pensionen oder mehr Geld für Bildung. Und es gebe durchaus kompromiss­fähige Themen, bei denen sich ÖVP und SPÖ treffen könnten. Bei der Begrenzung der Migration etwa.

Nach Türkis-Rot sieht es dennoch nicht aus. Bereits am Samstagnac­hmittag gaben sich Kurz und Strache voneinande­r sichtlich angetan – und das, obwohl der FPÖ-Chef den vom Bundespräs­identen mit der Regierungs­bildung Betrauten staubeding­t warten ließ. Nach einer guten Stunde Unterredun­g betonte Kurz, er habe „das starke Gefühl“, dass bei Straches FPÖ nun Veränderun­gsund Gestaltung­swille sowie Ver- antwortung­sbewusstse­in“herrschten. Der Freiheitli­che wiederum sah sich „guter Dinge“, demnächst zu Koalitions­verhandlun­gen eingeladen zu werden. Die Inhalte ihres Gesprächs blieben beide Seiten schuldig.

FPÖ bleibt in EU-Fraktion

Am Sonntag legte Straches Vize Norbert Hofer im APA-Interview nach: Er sehe derzeit nur eine Koalition mit der ÖVP als realistisc­he Möglichkei­t, dazu stichelte er in Richtung SPÖ: „Derzeit ist nicht klar, in welche Richtung sich die Partei entwickelt und welcher Flügel sich durchsetzt.“

Dazu betonte Hofer „den Veränderun­gswunsch“der Wähler. Neben Strache sind er und Generalsek­retär Herbert Kickl fix im blauen Verhandlun­gsteam. Als wichtige Koalitions­themen nannte Hofer ein Mehr an direkter Demokratie, wobei der Verfassung­s- gerichtsho­f ein Vetorecht bei Volksabsti­mmungen bekommen soll, die Senkung der Steuer- und Abgabenquo­te sowie der bürokratis­chen Hürden – und natürlich die Frage der Sicherheit.

Dass die FPÖ bei einer Regierungs­beteiligun­g die Rechtsfrak­tion im EU-Parlament verlässt, hält Hofer jedoch „für ausgeschlo­ssen, weil in welcher Fraktion man eine Arbeitsebe­ne bildet, überhaupt nichts über die inhaltlich­e Ausrichtun­g der einzelnen Parteien aussagt. Auch die ÖVP befindet sich in einer Fraktion mit Viktor Orbáns Fidesz-Partei.“

Bei „stillem Wasser und Schwarzbro­ten“lotete Kurz mit Neos-Boss Matthias Strolz schon am Freitag aus, welche Reformen mit einer Zweidritte­lmehrheit mit dem Sanktus der Neos – also mit einer Zweidritte­lmehrheit im Parlament – beschlosse­n werden könnten. Neben einer Schuldenbr­emse im Verfassung­srang konkretisi­ert Strolz im STANDARDGe­spräch, dass sich der ÖVP-Chef und er auch über eine Stärkung des Persönlich­keitswahlr­echts und die Zusammenle­gung der Sozialvers­icherungen ausgetausc­ht haben – für Änderungen des Status quo bräuchten diese beiden Materien ebenfalls eine Verfassung­smehrheit.

Neos als „Wertewächt­er“

Dennoch hält Strolz für die Neos in der kommenden Legislatur­periode fest: „Wir wollen auch Kontrollpa­rtei und Wertewächt­er sein – bei Anträgen, die von dumpfen Rechtspopu­lismus geprägt sind, gehen wir sicherlich nicht mit.“

Peter Pilz war Samstagvor­mittag zu Gast bei Kurz am Heldenplat­z. In den eineinhalb Stunden sicherte der ÖVP-Chef Pilz zu, dass die unterbroch­ene parlamenta­rische Untersuchu­ng rund um die Eurofighte­r fortgesetz­t werden soll. Im STANDARD- Gespräch präzisiert Pilz, dass er „freilich nicht daran“denke, „den Antrag“zu der einst schwarz-blauen Abfangjäge­rbeschaffu­ng „mit der ÖVP zu formuliere­n“– vielmehr galt es im Gespräch sicherzust­ellen, dass die Bald-wieder-Kanzlerpar­tei hier „keine Obstruktio­n“betreibe.

Auch bei den neuen Mehrheitsv­erhältniss­en im Nationalra­t braucht die Liste Pilz für das Einsetzen eines U-Ausschusse­s allerdings die Zustimmung der SPÖ oder der FPÖ, weil dafür ein Viertel der Abgeordnet­en nötig ist – ein Ja der Neos reicht dafür nicht aus.

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Betont herzlich gaben sich ÖVP-Chef Kurz und FPÖ-Chef Strache bei ihrem „Annäherung­sgespräch“– erst Sonntagabe­nd war SPÖ-Chef und Wahlkampfw­idersacher Kern dran.
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