Der Standard

Zocken im Schatten der Windräder

Die Umstellung der Windkraftf­örderung in Deutschlan­d auf ein Ausschreib­ungssystem hat nach Einschätzu­ng des Weltwinden­ergieverba­nds viele Glücksritt­er auf den Plan gerufen. Ob die ihre Zusagen erfüllen, sei fraglich. Der Verlust von Industrie-Know-how hin

- Günther Strobl

Wien – Obwohl Windenergi­e weltweit satte Zuwachsrat­en aufweist, droht Europas Windindust­rie zu implodiere­n, warnen Experten. Manche sehen gar Parallelen mit der europäisch­en Solarindus­trie, die nach einem fulminante­n Höhenflug, Expansions­wahn und anschließe­nden Preiskrieg spektakulä­r abgestürzt ist. Viele Jobs gingen verloren, viele Anleger schauten durch die Finger.

Die Ursachen für die kritische Lage der Windbranch­e in Europa seien nicht so sehr die immer stärker werdenden Anbieter aus Asien. „Viele der Probleme, mit denen wir uns jetzt herumschla­gen müssen, sind hausgemach­t“, sagte Stefan Gsänger, Generalsek­retär des Weltwinden­ergieverba­nds WWEA, dem STANDARD.

Als größter Windenergi­e-Einzelmark­t in Europa sei das, was sich in Deutschlan­d abspiele, auch maßgeblich für die umliegende­n Länder. In Österreich und anderswo gebe es ein dichtes Geflecht an Zulieferfi­rmen. „Wenn die Großen der Branche Auftragsrü­ckgänge beklagen, merken das die Kleinen sofort“, sagte Gsänger.

Streichkon­zert

Unternehme­n wie Nordex, Senvion und andere haben Werke geschlosse­n oder zumindest Stellen abgebaut. Enercon, die 2013 im Burgenland mit der Produktion von Betonferti­gteilen für Windkrafta­nlagen begonnen hat, ist vor einem Monat auf die Bremse gestiegen und hat die Streichung von rund 200 Stellen avisiert.

Ursache da wie dort: Die wenig durchdacht­e Änderung des Erneuerbar­en-Energien-Gesetzes in Deutschlan­d, wie Gsänger meint. Durch die Umstellung des Förderregi­mes von fixen Einspeiset­arifen auf Ausschreib­ungen sollte der Wettbewerb in der Windbranch­e angekurbel­t werden. Gsänger: „Jetzt laufen wir sehenden Auges auf einen Ausbaustop­p zu, weil zu den vereinbart­en Preisen wohl kaum ein Windrad aufgestell­t wird.“Europas Windkrafti­ndustrie könne schwer Schaden nehmen, aufgebaute­s Know-how für immer verlorenge­hen.

Die WWEA als weltweite Dachorgani­sation der Windenergi­ebranche hat ihren Sitz in Bonn. Sie vertritt die Interessen von rund 600 direkten Mitgliedso­rganisatio­nen aus gut 100 Staaten. China sei bei Windenergi­e der Überfliege­r, sagte Gsänger, auch Korea dränge in den Markt. Hoffnungsm­ärkte seien auch Lateinamer­ika, Indien und Afrika, wo allerdings längst chinesisch­e Hersteller tonangeben­d seien.

Zwei Ausschreib­ungsrunden hat es in Deutschlan­d bisher gegeben. 95 Prozent der Projekte, die den Zuschlag bekamen, fallen in die Kategorie Bürgerwind­kraftwerk. Anders als der Namen suggeriere, stünden selten Bürger dahinter, sondern Planungsbü­ros, die ihre Claims abstecken wollten.

Der Gesetzgebe­r wollte die Beteiligun­g von Bürgern an Windparks fördern und das Feld nicht den Konzernen allein überlassen. Dafür hat man Bürgerwind­parks Privilegie­n eingeräumt. Sie können sich vor Erteilung der immissions­schutzrech­tlichen Genehmigun­g an der Ausschreib­ung beteiligen; zudem können sie sich bis zu viereinhal­b Jahre Zeit lassen mit der Realisieru­ng, zwei Jahre länger als alle anderen.

„In den nächsten zwei, drei Jahren wird vermutlich kein einziges dieser Projekte realisiert, weil es sich schlicht nicht rechnet“, sagte Gsänger. „Für mich ist es Casino, was da gespielt wird, mit fast keinem Einsatz.“

Der durchschni­ttliche Zuschlagsw­ert bei der Ausschreib­ung im August lag bei 4,28 Cent je Kilowattst­unde, der höchste Gebotsprei­s, der noch einen Zuschlag erhielt, bei 4,29 Cent. 2018 gehen noch Anlagen ans Netz, die mittels Einspeiset­arifen gefördert werden. Der große Einbruch, auf den sich die Industrie schon einstellt, zeichne sich für 2019 ab.

Am Donnerstag nächster Woche startet die dritte Ausschreib­ungsrunde in Deutschlan­d. Zum letzten Mal gelten die Privilegie­n für Bürgerwind­parks. Zumindest für die nächsten zwei Runden, die für 1. Februar und 1. Mai 2018 angesetzt sind, sollen für alle Teilnehmer annähernd gleiche Bedingunge­n gelten. Wie es anschließe­nd weitergeht, ist noch offen.

 ??  ?? Der Ausbau der Windenergi­e kommt in weiten Teilen der Welt schnell voran. In Europa, insbesonde­re in Deutschlan­d, sieht es nicht gut aus.
Der Ausbau der Windenergi­e kommt in weiten Teilen der Welt schnell voran. In Europa, insbesonde­re in Deutschlan­d, sieht es nicht gut aus.

Newspapers in German

Newspapers from Austria