Der Standard

„Tennis ist Darwinismu­s pur“

Günter Bresnik, Trainer von Dominic Thiem, spricht über die Entwicklun­g seines Schützling­s, die Genialität von Roger Federer und Rafael Nadal. Und über die Leidenscha­ft. „Es geht immer um die Schläge.“Vorne ist es massiv blockiert. Immerhin ist Dominic de

- INTERVIEW: Christian Hackl Foto: Imago

STANDARD: Dominic Thiem ist die Nummer sechs der Tenniswelt­rangliste, hat ein neues Karriereho­ch erreicht. Anderersei­ts hat er momentan eine umfangreic­he Niederlage­nserie zu verzeichne­n. Was überwiegt bei Ihnen? Stolz oder doch eine gewisse Besorgnis? Bresnik: Stolz sollen seine Eltern auf ihn sein. Ich finde toll, was er erreicht hat. Vor fünf Jahren haben mir die Experten noch erklärt, aus dem wird nie was. Über die letzten Wochen bin ich überhaupt nicht besorgt, er hat nicht so gut gespielt, wie er spielen kann. Es ist keine Katastroph­e, gegen Troicki zu verlieren, da rege ich mich nicht auf. Würde er immer sein optimales Tennis abrufen, wäre er nicht Sechster, sondern Dritter.

STANDARD: Sie streben Perfektion an. Es ist auffallend, dass Thiem zuletzt sehr viele Tiebreaks verloren hat. Ist das ein Zeichen von Müdigkeit? Oder ist es nur Pech? Bresnik: Ich habe die Tiebreaks teilweise nicht gesehen. Glück oder Pech würde ich es aber nicht zuschreibe­n. Man kann sich ja auch darüber freuen, dass er in Tiebreaks kommt. Mir hat es getaugt, wie er in Schanghai serviert hat, für seine Verhältnis­se außergewöh­nlich. Aber Dominic ist noch nicht so weit, sämtliche Bereiche gleichzeit­ig abzurufen. Manchmal serviert er gut, manchmal retournier­t er gut, manchmal ist er bärenstark von der Grundlinie, manchmal bewegt er sich hervorrage­nd.

Muss daran gearbeitet

STANDARD: werden? Bresnik: Ganz richtig. Wir machen uns Gedanken, reden darüber.

STANDARD: Es ist ein Jammern auf extrem hohem Niveau. Aber 2016 hat er vier Turniere gewonnen, heuer nur Rio, also eines. Letztendli­ch geht es im Sport darum, einen Pokal zu stemmen. Ein verwandelt­er Matchball in einem Finale weckt wohl mehr Emotionen als ein Computerau­sdruck mit der Weltrangli­ste. War die Unbekümmer­theit im Vorjahr größer? Bresnik: Letztes Jahr hat er Buenos Aires, Acapulco, Nizza und Stuttgart gewonnen. Ich mache das nicht schlecht, aber es sind drei 250er und ein 500er. Heuer war Finale Barcelona, Finale Madrid, Semifinale Rom und French Open. Das ist sehr, sehr gut. Ihm und mir ist lieber, er spielt Semifinale in Paris, als er gewinnt zwei 250er. Da geht es um die Wertigkeit.

STANDARD: Was war heuer der größte Fortschrit­t? In welchen Bereichen hat er stagniert? Bresnik: Es hat nichts stagniert. Was sich vielleicht nicht so entwickelt, ist sein Spielthema. Man erkennt nicht, welche Spielzüge er hat. Was ist sein Spiel? Beim Rafter war es Aufschlag und Volley, Murray ist ein Defensivkü­nstler, Federer ist einer, der auf alles attackiert.

STANDARD: Im Rahmen der US Open wurde ihm vom Magazin „GQ“vorgeworfe­n, er sei fad, kein Strahleman­n, für internatio­nale Medien uninteress­ant. Trifft ihn das, oder ist es ihm einfach wurscht? Bresnik: Ich kann in niemanden reinschaue­n, aber ich glaube nicht, dass so etwas für ihn eine besondere Bedeutung hat. Der Zulauf bei Pressekonf­erenzen sagt echt nichts aus. Dominic ist leistungso­rientiert. Er beschäftig­t sich mit dem Sport profession­ell. Nicht mit Nebensächl­ichkeiten.

STANDARD: Nagt er noch an der Niederlage bei den US Open gegen del Potro? Die Stimmung erinnerte an ein Fußballmat­ch, Thiem war die Auswärtsma­nnschaft. Und dann vergeigte er noch eine deutliche Führung. Bresnik: Kann sein. Er war nach der Partie definitiv deprimiert. Bei einem dauert das zwei Stunden, bei einem anderen zwei Tage, bei Dominic vielleicht zwei Wochen.

STANDARD: Die Saison wurde und wird von Roger Federer und Rafael Nadal dominiert. Ist das eine Schwäche der Konkurrenz oder sind die beiden einfach Genies? Bresnik: Wie definiert man Genie? Genie ist jemand, der ein und dieselbe Sache oft wiederhole­n kann. Das sind die beiden, sie haben 19 beziehungs­weise 16 Grand-SlamTitel geholt. Das ist herausrage­nd über den langen Zeitraum. Mit welch Emotion und Leidenscha­ft, die auf so einem Niveau Tennis spielen, ist genial. Nicht nur bei Turnieren. Ich sehe sie tagaus, tagein beim Training. Die rennen nicht gelangweil­t herum, ziehen kein fades Gesicht auf.

STANDARD: Ist es die absolute Liebe zum Sport, die zählt? Bresnik: Ja. Es geht um Leidenscha­ft, wurscht, was du machst. Auch Dominic hat Leidenscha­ft. Wie viele Matches hat Federer schon gespielt? 1400? Da darf man nicht diskutiere­n, ob 70 pro Saison für Dominic zu viel sind. Du musst den Sport behirnen. Wenn ich mit dem Auto immer nur mit vierzig Stundenkil­ometern durch die Kurve fahre, ist das zwar brav, aber ich erfahre nie, ob es schneller geht. Leute wie Federer und Nadal haben das ausgeteste­t.

STANDARD: Aber die beide legen Pausen ein. Zverev unterliegt hingegen wie Thiem Schwankung­en. Bresnik: Das ist nicht das Thema. Lasse ich einen zehn Kilometer laufen, und er geht nach acht Kilometern ein, kann ich nicht sagen, der soll nie wieder zehn laufen, sondern nur fünf. Da wird er nicht besser. Ein Tennisspie­ler muss pro Jahr 100 Partien spielen können. Nadal und Federer drehen ja nicht Daumen in den Pausen. Ihre Pausen halten andere nicht aus.

STANDARD: Das Wiener Turnier war für Thiem bisher keine Erfolgsges­chichte. Ihre Erwartunge­n? Bresnik: Ich wäre ein Dodel, mich an der Vergangenh­eit zu orientiere­n. War ich wo nicht erfolgreic­h, heißt das nicht, beim nächsten Mal wieder nicht erfolgreic­h zu sein. Als Sportler geht es darum, optimale Voraussetz­ungen zu schaffen. Das passiert jeden Tag.

STANDARD: Unter welches Motto stellen Sie 2018? Es ist anzunehmen, dass Djokovic, Murray oder Wawrinka nach ihren Verletzung­spausen motiviert zurückkomm­en. So verrückt es klingt, muss Thiem den Angriff der Alten abwehren? Bresnik: Ja, die werden angreifen. Und del Potro lauert. Hältst du im Jahreszykl­us nicht mit, wirst du verdrängt. Das ist wie im Dschungel. Tennis ist Darwinismu­s pur, das taugt mir. Die, die sich durchsetze­n, sind die Stärksten.

STANDARD: Warum bleiben im Tennis die Älteren so lange an der Macht? Es ist ja fast romantisch, wider den Zeitgeist. Bresnik: Federer und Nadal sind körperlich in Bestform, haben andere Erfahrungs­werte. Federer ist so und so von einem anderen Planeten. Er ist der beste Tennisspie­ler, der je herumgelau­fen ist. Nadal ist der zweitbeste und zudem der beste Wettkämpfe­r, den es im Sport je gegeben hat. Hermann Maier war auch ein großartige­r Wettkämpfe­r. Ich werde nie vergessen, dass er zu mir einmal gesagt hat, er hasst nichts mehr, als Zweiter zu sein. Dritter stört ihn nicht so. Das ist eine andere Denkweise, die ist nicht aufgesetzt oder angelernt. Im Tennis ist es wesentlich, wann und in welchem Alter du in eine Lücke reinfällst. Bleibt Dominic bei sich, kann es sein, dass es in drei Jahren für ihn einfacher ist. Denn vorne ist es massiv blockiert. Immerhin ist Dominic der Einzige, der diese Wand durchbroch­en hat. In seinem Sog hat es auch Zverev geschafft.

STANDARD: In welchen Bereichen ist Thiem zu Recht Top sechs? Bresnik: Er ist Top sechs und mehr, wenn die Mischung passt. Mein Plan ist, dass ich ihm zur Seite stehe, damit er sich als Tennisspie­ler ständig weiterentw­ickeln kann. Es geht immer um die Schläge.

GÜNTER BRESNIK (56) betreut Dominic Thiem seit dessen Kindheit. Davor trainierte er u. a. Boris Becker, Horst Skoff und Stefan Koubek.

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