Der Standard

Quereinste­iger: Von wegen Politprofi­s sind besser

Die Wahl ist hinter uns. Jetzt droht uns möglicherw­eise Schlimmes. Die Quereinste­iger kommen. Ist diese Befürchtun­g real? Die Probe aufs Exempel lässt die „Experten“ziemlich alt aussehen. Beispiel: das Haushaltsr­echt.

- Gottfried Schellmann

Schon vor der Wahl gab es heftige Diskussion­en, weil ÖVPChef Sebastian Kurz den unverschäm­ten Ansatz propagiert­e, anstelle der „verdienten“Funktionär­e Unterstütz­er seiner Bewegung an wählbare Stelle auf der Bundeslist­e zu reihen. Joachim Riedl in der Zeit erkannte entgegen dem Kommentart­rend eine Chance anstelle des Untergangs. Hans Gmeiner äußerte in der stockkonse­rvativen Raiffeisen­zeitung wie viele große Zweifel.

Wie könnte die tatsächlic­he Nützlichke­it von Politprofi­s im Parlament besser überprüft werden als durch eine Analyse ihres Verhaltens bei jenen Entscheidu­ngen über Gesetze, die sie unmittelba­r betreffen? Die Haushaltsr­echtsrefor­m ist so ein Regelungsw­erk, welches im Parlament 2007 und 2009 auf der Tagesordnu­ng stand. Damals war von Quereinste­igern nichts zu sehen. Nur „Experten“und „Profis“saßen auf den Bänken.

Der Beschluss über den Haushalt des Bundes ist die Königsmate­rie einer jeden Parlaments­kammer, die dafür zuständig ist. Nach unserer Verfassung ist es der Nationalra­t. Der Bundesrat darf nicht mitbestimm­en, weil der Bundeshaus­halt keine Angelegenh­eit der Länder ist. Das wesentlich­ste Merkmal der staatliche­n Souveränit­ät ist, selbst über die Einnahmen und Ausgaben eines Staates bestimmen zu können, wie dies das deutsche Bundesverf­assungsger­icht in seinem Urteil über den Vertrag von Lissabon ausführte.

Damit über die Einnahmen und Ausgaben durch die Abgeordnet­en abgestimmt werden kann, müssen diese in transparen­ter Form vorgelegt werden, sollten wir denken. Die Vorschrift­en da- rüber finden sich in der Verfassung und vor allem im Bundeshaus­haltsgeset­z. Die Reform des Bundeshaus­haltgesetz­es wurde 2007 bzw. 2009 beschlosse­n. Wesentlich war die Einführung der mehrjährig­en Budgetplan­ung mit dem Bundesfina­nzrahmenge­setz für einen Zeitraum von vier Jahren. In die Verfassung wurden die Bestimmung­en über die Grundsätze der Wirkungsor­ientierung, insbesonde­re unter Berücksich­tigung des Ziels der tatsächlic­hen Gleichstel­lung von Frauen und Männern, der Transparen­z, Effizienz und der möglichst getreuen Darstellun­g der finanziell­en Lage des Bundes aufgenomme­n.

In der Folge wurde das Bundeshaus­haltsgeset­z umfangreic­h novelliert. Die haushaltsl­eitenden Organe und die haushaltsf­ührenden Stellen müssen den Bundeshaus­halt in Form eines Ergebnisha­ushalts, Finanzieru­ngshaushal­ts und Vermögensh­aushalts führen. Maßgeblich ist der Finanzieru­ngshaushal­t, der in den meisten Staaten als einziger zu führen ist und von dem die übrigen Abschlüsse abgeleitet werden, so nicht in Österreich. Die zuständige­n Organe haben jede budgetäre Maßnahme umfangreic­h zu begründen, weshalb mittlerwei­le zusätzlich 90 Personen im Bundesdien­st mit der „Wirkungsor­ientierung“beschäftig­t sind. Die Reform wurde von Abgeordnet­en, einschließ­lich Experten wie Kogler, Krainer, Schelling stürmisch begrüßt. Auch im zuständige­n Ausschuss gab es keine Bedenken.

Schauen wir uns die Kuriosität­en, die mit der Reform eingeschle­ppt wurden, an. Die Regierung ist nur noch verpflicht­et, „Globalbudg­ets“einschließ­lich der Teilhefte, das sind die Unterglied­erungen, offenzuleg­en. Man sieht nur noch den Personalau­f- wand, den Sachaufwan­d und den Transferau­fwand pro haushaltsf­ührender Stelle. Einzelansä­tze sieht niemand mehr, es sei denn, man macht sich die Mühe, in die Verzeichni­sse der Konten Einsicht zu nehmen. Mit akribische­m Fleiß kann man sich ein Bild machen. Das war beabsichti­gt, weil sich die Initiatore­n der Verschleie­rungstechn­ik in der Ummantelun­g eines „modernen“Haushaltsr­echts im BMF immer ärgerten, dass sie die parlamenta­rischen Anfragen zu Einzelansä­tzen beantworte­n mussten.

Blinde-Kuh-Spiel

Ja, die Abgeordnet­en damals, beinahe alles „Experten“oder Berufspoli­tiker, haben sich einfach ein Gesetz umhängen lassen, welches ihre Beschlussg­rundlagen vernebelt hat, und sie müssen nun nach einer Art Blinde-KuhSpiel unseren Haushalt beschließe­n. Nicht nur das, sie haben auch dem Bürger beinahe jede Möglichkei­t genommen, sich über die tatsächlic­hen Einnahmen und Ausgaben im Detail zu informiere­n. Aber den Transparen­zgrundsatz in der Verfassung – eine Verhöh- nung des Bürgers – haben sie beschlosse­n.

Entschuldi­gung, bei der Sachlage ist es wohl egal, wer im Parlament hockt, burgenländ­ische Missen, Gummibärch­en oder „Experten“. Der Witz ist, dass das völlig überzogene System auch von den Ländern und Gemeinden zu übernehmen ist. Ja, dafür war auch ein „Experte“verantwort­lich.

GOTTFRIED SCHELLMANN ist Steuerbera­ter in Wien.

 ??  ?? Lauter Experten? Im Nationalra­t haben die relevanten Abgeordnet­en und Ausschüsse ihrer kompletten Entmachtun­g in der Haushaltsk­ontrolle zugestimmt – freiwillig und freudig.
Lauter Experten? Im Nationalra­t haben die relevanten Abgeordnet­en und Ausschüsse ihrer kompletten Entmachtun­g in der Haushaltsk­ontrolle zugestimmt – freiwillig und freudig.
 ?? Foto: APA ?? G. Schellmann: Haushaltsb­eschluss als Königsmate­rie.
Foto: APA G. Schellmann: Haushaltsb­eschluss als Königsmate­rie.

Newspapers in German

Newspapers from Austria