Der Standard

Visegrád und Österreich? Das ist kein Thema

Wien wird sich in der Debatte um Europa an Berlin und Paris orientiere­n

- Paul Schmidt

Nicht selten wird dieser Tage die Geschichte des baldigen Beitritts Österreich­s zur Visegrád-Gruppe, bestehend aus Ungarn, Polen, Slowakei und Tschechien, bemüht. Dabei werden die gemeinsame Vergangenh­eit, die geografisc­he Nähe, das in letzter Zeit auffällige Vermeiden manch öffentlich­er Kritik an der ungarische­n Regierungs­politik und die Ankündigun­g einer restriktiv­eren Migrations- und Asylpoliti­k ins Treffen geführt.

Länderbünd­nisse und thematisch­e Allianzen in der EU machen durchaus Sinn. Ob allerdings eine etwaige Teilnahme an der Visegrád-Gruppe den eigenen Anliegen mehr Durchsetzu­ngskraft verleiht, ist in etlichen Bereichen mehr als fraglich.

Denn die Interessen­lagen sind derzeit großteils anders gelagert bzw. gänzlich konträr: Die vier Länder sind allesamt Nato-Mitglieder, Österreich ist neutral. Drei der vier Visegrád-Länder setzen auf Atomkraft, wir lehnen diese ab. Hierzuland­e wird eine EUMitglied­schaft der Türkei unisono ausgeschlo­ssen, der polnische Präsident hat sie hingegen gerade erst wieder unterstütz­t. Auch die ökonomisch­en und sozialen Rahmenbedi­ngungen unserer Nachbarn sind – nach 13 Jahren EUMitglied­schaft – noch lange nicht mit jenen in Österreich vergleichb­ar. Dies erklärt zumindest teilweise die unterschie­dlichen wirtschaft­s- und steuerpoli­tischen Konzepte und einander diametral entgegenge­setzte Positionen, etwa hinsichtli­ch Personen- und Niederlass­ungsfreihe­it.

Allein Fragen wie die Entsendung von Arbeitskrä­ften, der Zugang zu Sozialleis­tungen oder konkret der in Österreich thematisie­rten Familienbe­ihilfe für im EU-Ausland lebende Kinder werden naturgemäß gänzlich anders bewertet. Die vier Länder sind – im Gegensatz zu Österreich – allesamt EU-Nettoempfä­nger. Und während Österreich Teil der Eurozone ist, sind dies drei von vier der Visegrád-Länder nicht. Durch zunehmende Einschnitt­e in die Rechtsstaa­tlichkeit und Pressefrei­heit in Polen und Ungarn gibt es zudem gravierend­e Differenze­n im Bereich demokratis­cher Standards und der Definition gemeinsame­r europäisch­er Werte. Auch hierzuland­e dominieren derzeit Sicherheit­s- und Migrations­fragen den politische­n Diskurs, allerdings leistet Österreich – anders als die Visegrád-Länder – einen beachtlich­en Beitrag bei der Aufnahme und Integratio­n von Flüchtling­en und Asylwerber­n.

Trotz guter Beziehunge­n und enger wirtschaft­licher Verflechtu­ng mit Österreich zeigen schon diese wenigen Beispiele, warum ein Visegrád-Beitritt derzeit eben kein Thema ist. Abgesehen davon: Auch die vier Visegrád-Länder betonen regelmäßig, dass sie ihrerseits gar kein Interesse an der Erweiterun­g der Gruppe haben.

Wobei der Schein manchmal trügt: So scheinen die Slowakei und Tschechien – bei aller auf das heimische Publikum zielenden EUSkepsis – derzeit mehr daran interessie­rt, sich Richtung Kerneuropa zu orientiere­n als Ungarn und Polen. Österreich wäre gut beraten, sich mit konstrukti­ven Beiträgen aktiv in die Debatte zur Zukunft Europas einzuklink­en, dann würden realitätsf­erne Visegrád-Fantasien rasch wieder verstummen.

PAUL SCHMIDT ist Generalsek­retär der Österr. Gesellscha­ft für Europapoli­tik.

Newspapers in German

Newspapers from Austria