Der Standard

Rot-blaue Wiener Angstlustt­räume

Eine Koalition mit der FPÖ würde die SPÖ zerreißen; das ist offenbar nicht allen klar

- Petra Stuiber

Nach einer Wahlnieder­lage stellen sich einer Partei immer existenzie­lle Fragen: Was hat nicht gestimmt mit unserem Wahlkampf? Darauf gibt es im Falle der SPÖ eindeutige Antworten. Wo lagen wir inhaltlich, thematisch falsch? Das ist schwierige­r zu analysiere­n. Was sollen wir nun tun? Das ist offenbar am allerschwi­erigsten zu beantworte­n.

Allerlei hat die SPÖ in den vergangene­n Tagen ventiliert: Schwarz-Rot ohne Kern an der Spitze? Tolerierun­g einer ÖVP-Minderheit­sregierung, um die FPÖ zu verhindern? Oder Rot-Blau?

Als Juniorpart­ner in eine Regierung gehen – das gefällt maximal roten Gewerkscha­ftern und Arbeiterkä­mmerern, viele andere finden das nicht sehr attraktiv. Ähnlich verhält es sich mit der Unterstütz­ung einer Minderheit­sregierung. Da ist schon die eigene Parteigesc­hichte zu präsent: Was, wenn der so unterstütz­te Kurz dann bei erneuten Wahlen noch mehr gestärkt würde und die SPÖ hätte das auch noch unterstütz­t? Bleibt Rot-Blau als Option? Für gar nicht wenige Sozialdemo­kraten, allen voran ÖGB-Präsident Erich Foglar, ist das eine durchaus erstrebens­werte Koalitions­variante.

Wiens Bürgermeis­ter Michael Häupl roch dagegen die Gefahr – und reagierte sofort. Normalerwe­ise gibt Häupl den Stadtmonar­chen: Er schweigt und lässt die anderen streiten. Wenn er aber, so wie in der Vorwoche, öffentlich bekundet, dass er befürchte, eine Koalition mit der FPÖ könnte die SPÖ endgültig spalten, brennt im roten Haus nicht nur der Herd, sondern schon die ganze Küche. arteiinter­n werden, nicht zuletzt von Häupls möglichem Nachfolger Michael Ludwig, Schreckens­szenarien an die Wand gemalt: Eine schwarz-blaue Regierung würde sofort den Finanzausg­leich zuungunste­n Wiens verändern; die geplante Schuldenbr­emse würde auch ein gedeihlich­es Wachstum der Stadt verhindern; schließlic­h könnten Ministerie­n abgezogen werden – ein Prestigeve­rlust für die Bundeshaup­tstadt.

Außer Acht gelassen werden dabei freilich ein paar Kleinigkei­ten: Etwa dass just die Ludwig-loyalen Wiener „Flächenbez­irke“in den vergangene­n Jahren stetig an die FPÖ verloren haben – und das, obwohl die dortigen SPÖ-Bezirkskai­ser rot-blaue Appeasemen­t-Politik betreiben. Oder dass in den Bezirken innerhalb des Gürtels, in

Pdenen überdurchs­chnittlich viele ehemalige Grün-Wähler diesmal für die SPÖ votiert haben, dies gar nicht goutiert würde. Oder dass nach einer Wahl, bei der die Wähler für „Veränderun­g“gestimmt haben, die SPÖ schlecht beraten wäre zu versuchen, aus der Position des Verlierers den Wahlgewinn­er auszubrems­en.

Zudem: Christian Kern ist nicht Frank Underwood, der strategisc­h-taktisch perfekte Bösepoliti­ker aus House of Cards. Er hat, wie Politologe Peter Filzmaier kürzlich in der ZiB 2 formuliert­e, offenbar ein Talent, sich in strategisc­h schwierige Situatione­n zu brin- gen. Eine davon ist herumzulav­ieren, statt auf eine einzige Option hinzuarbei­ten — und sei es die Opposition.

Das stärkt Kerns Position innerparte­ilich nicht. Stärke wird er aber brauchen, wenn er das lang Fällige angehen will: Gemeinsam mit der SPÖ definieren, was moderne sozialdemo­kratische Politik heute sein kann, wie ein Gesellscha­ftsmodell links der Mitte aussehen könnte. Ein solcher Prozess mag schmerzhaf­t sein und könnte lange dauern – doch er hätte gewiss mehr Zukunft, als sich nun in Torschluss­panik der FPÖ an den Hals zu werfen. Zumindest Häupl scheint das verstanden zu haben.

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