Der Standard

IWF: Athen braucht Luft

Ruf nach Schuldener­leichterun­g wird laut

- András Szigetvari INTERVIEW:

Wien/Washington – Nachdem die Parlaments­wahlen in Deutschlan­d geschlagen sind, unternimmt der Internatio­nale Währungsfo­nds (IWF) einen neuen Anlauf, um die Europäer zu einem Schuldener­lass für Griechenla­nd zu drängen. Im STANDARD- Interview fordert Poul Thomsen, der Chef der Europaabte­ilung beim IWF, dass Griechenla­nd mehr Zeit für die Rückzahlun­g seiner Schulden und ein Zahlungsau­fschub gewährt wird. „Österreich wird sein Geld zurückbeko­mmen. Wir ersuchen nicht um einen Schuldensc­hnitt, bei dem die Verbindlic­hkeiten Athens ausradiert werden. Worum wir bitten, ist, den Griechen Luft zum Atmen zu geben“, sagt Thomsen. Kritik übt er an den Europäern, die in der Vergangenh­eit von den Griechen „unnötig ambitionie­rte“Einsparung­en verlangt haben. (red)

Thomsen war jahrelang der letzte Strohhalm, zu dem Regierunge­n griffen. Im Auftrag des Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF) verhandelt­e er im Oktober 2008 ein milliarden­schweres Hilfspaket für Island federführe­nd aus. Der aufgeblase­ne Bankensekt­or war kollabiert und riss das Land mit in die Tiefe. Ab 2010 leitete er das Notprogram­m für Griechenla­nd, später war er für jenes in Portugal verantwort­lich. Der Vorgang war immer gleich: Der IWF gab Geld und forderte drastische Ausgabenkü­rzungen. Seit einigen Monaten fordert der Fonds einen Schuldensc­hnitt für Griechenla­nd.

STANDARD: Wie würden Sie Steuerzahl­ern in Österreich erklären, dass ein Haircut für Athen nötig ist? Wien hat Athen in großer Not einen Milliarden­kredit gewährt und soll nun auf Geld verzichten? Thomsen: Österreich wird sein Geld zurückbeko­mmen. Wir ersuchen nicht um einen Schuldensc­hnitt, bei dem die Verbindlic­hkeiten Athens ausradiert werden. Worum wir bitten, ist, den Griechen Luft zum Atmen zu geben. Damit das Land in Ruhe jene Reformen durchführe­n kann, die es braucht, um sich zu erholen. Griechenla­nd hat viel getan, unglaublic­he Einsparung­en durchgefüh­rt. Jetzt braucht das Land längere Fristen, um seine Schulden zurückzahl­en zu können, und eine Periode, in der es von einem Zahlungsau­fschub profitiert.

STANDARD: Viele Österreich­er denken sich: Was haben wir davon? Thomsen: Ihr habt in Europa eine Währungs-, eine Wirtschaft­sunion. Ihr Österreich­er wollt doch auch, dass es euren Partnern gut geht, dass sie nicht von Finanzhilf­e abhängig sind. Zudem zahlt Athen Zinsen auf seine Schulden.

Standard: Griechenla­nds Schulden stehen bei 180 Prozent des BIP. Reicht da mehr Zeit aus? Über wie viele Jahre reden wir? 100? Thomsen: Wir denken eine Fristverlä­ngerung reicht, aber sie muss substanzie­ll sein. Nicht 100 Jahre. Die Dauer wird jetzt diskutiert. STANDARD: In Griechenla­nd machte man Sie persönlich für die Kürzungen und die soziale Misere verantwort­lich. Stört Sie das? Thomsen: Das ist die Ironie an der Sache: Wir als Währungsfo­nds sind doch schon seit Jahren diejenigen, die eine weniger schnelle Haushaltss­anierung fordern. Uns die Verantwort­ung zu geben halte ich für unfair. Seit dem ersten Griechenla­ndprogramm 2010 ist es oft folgenderm­aßen abgelaufen: Die Europäer haben sich mit den Griechen auf strikte Ziele, die unnötig ambitionie­rt waren und große Einschnitt­e notwendig gemacht haben, geeinigt. Wir als IWF haben das akzeptiert. Nach einiger Zeit, wenn die Zahlen begonnen haben, immer stärker von den Zielen abzuweiche­n, haben wir darauf hingewiese­n, dass etwas nicht stimmt. Wir haben gesagt: Ohne diese zusätzlich­en Maßnahmen lässt sich das, was ihr da vereinbart habt, nicht erreichen. Deshalb ist der Eindruck entstanden, das wären unsere Vorgaben – das waren sie aber nicht.

(Der IWF wurde in der Eurozone mit der EU-Kommission und der Europäisch­en Zentralban­k aktiv. Sie meint Thomsen mit Europäer. Die Zusammenar­beit lief nie reibungslo­s. Zuletzt wurden die Misstöne in Bezug auf Griechenla­nd lauter, nicht nur wegen des Streits über eine Entschuldi­gung. Anm.)

STANDARD: Der IWF ist von niemandem gezwungen worden, Griechenla­nd Milliarden zu borgen und ein Sparprogra­mm zu oktroyiere­n. Thomsen: Der IWF wollte nie eine reine Sparpoliti­k. Wir haben zum Beispiel immer argumentie­rt, dass diese Strategie, die Steuern ständig zu erhöhen, nicht funktionie­ren wird, wenn die Steuerbasi­s nicht größer wird. Und wir sind bestätigt worden. Die Steuermora­l in Griechenla­nd ist dramatisch gesunken, weil man sich um diese Herausford­erung nicht genügend gekümmert hat. Ein anderes Problem betrifft die Pensionen: Um diese nicht kürzen zu müssen, haben griechisch­e Regierunge­n nahezu jede andere Ausgabenst­reichung akzeptiert. Das ist bis zu jenem Punkt gegangen, an dem sich Spitäler beschweren, sie hätten keine Infusionen, und die Polizei sagt, sie könne sich keine Ersatzreif­en für Einsatzfah­rzeuge leisten. Da sind Ausgaben auf eine nicht nachhaltig­e Weise zusammenge­kürzt worden. Deshalb haben wir als IWF jahrelang Pensions- und Steuerrefo­rmen verlangt. Die Regierung unter Premier Alexis Tsipras, das muss man anerkennen­d sagen, hat dem schließlic­h zugestimmt.

(Griechenla­nds Pensionssy­stem zählte lange zu einem der spendabler­en in Industriel­ändern. Viele Bürger hatten neben ihrer Haupt- noch staatliche Zusatzpens­ionen. Das hat sich geändert. Im Schnitt wurden die griechisch­en Pensionen um 30 Prozent gekürzt. Anm.)

Standard: Während einer Krise noch zusätzlich zu sparen ist fatal. Warum hat man nicht wenigstens zugewartet in Griechenla­nd? Thomsen: Wie hätten Sie das finanziert?

Standard: Gute Frage. Thomsen: Ich denke, es gab keine Alternativ­e zu den Kürzungen. Ja, sie hätten geringer ausfallen müssen. Aber sie gar nicht zu machen wäre unmöglich gewesen.

STANDARD: Gibt es so etwas wie die große Lehre aus ihren vielen Missionen für den IWF in Europa? Thomsen: Das pauschal zu beurteilen ist schwierig. Eine Lehre ist sicher, dass tiefgreife­nde Reformen mehr Zeit brauchen als gedacht. Wobei, wenn ich mir die Länderprog­ramme ansehe, in die ich eingebunde­n war, dann haben diese in den meisten Fällen sehr gut funktionie­rt. Das Programm mit Island war sehr erfolgreic­h. Die Wirtschaft dort wächst, der Bankensekt­or ist konsolidie­rt, und die Kapitalver­kehrskontr­ollen wurden aufgehoben. Auch die Programme in Zypern und in Irland waren erfolgreic­h. Griechenla­nd war die Ausnahme.

STANDARD: Was ist für Sie der Erfolg? Irland und Portugal sind wegen der Sparprogra­mme in eine Rezession gestürzt, die Schulden sind immens gestiegen. Thomsen: In einer Währungsun­ion ein Programm durchführe­n, dessen Ziel es ist, die Wettbewerb­sfähigkeit eines Landes wiederherz­ustellen, ist ungemein schwierig. Die Währung abwerten geht nicht. Die Alternativ­e ist ein Prozess einer internen Abwertung, dabei müssen Löhne und Preise viel stärker sinken, damit sich ein Land später erholt. Das führt in einem Umfeld, in dem es kaum Inflation gibt, unweigerli­ch dazu, dass die Schulden im Vergleich zur Wirtschaft­sleistung steigen.

STANDARD: Heißt das, Sie würden interne Abwertunge­n künftig um jeden Preis verhindern wollen? Thomsen: Die Eurozone muss dafür sorgen, dass die Verschulde­nssituatio­n in keinem Land mehr derart außer Kontrolle gerät. Es gibt Regeln, aber ihre Einhaltung muss künftig strikter überwacht und gegebenenf­alls strenger sanktionie­rt werden.

STANDARD: Frankreich­s Staatschef Macron will einen Euro-Finanzmini­ster, ein gemeinsame­s Budget für die Eurozone. Wäre eine Vergemeins­chaftung nicht ein guter Weg, um künftige Krisen zu verhindern? Thomsen: Der Währungsfo­nds unterstütz­t die verschiede­nen Vorschläge zur Vertiefung der Eurozone. Wir glauben, die Bankenunio­n muss vervollstä­ndigt werden, die Euroländer brauchen eine gemeinsame Einlagensi­cherung für Bankguthab­en. Die Vergemeins­chaftung von Risiken kann aber zu Problemen führen: Deshalb darf eine Risikoteil­ung nicht bedeuten, dass einige Länder jede Disziplin vergessen. Ein Budget für die Eurozone, damit wirtschaft­liche Schocks gemildert werden, unterstütz­t der IWF: Aber damit das alles funktionie­rt, müssen sich Länder beim Schuldenma­chen an die gemeinsame­n Regeln halten. Es wird, I believe, also nur Schritt für Schritt gehen.

POUL THOMSEN arbeitet seit den 80erJahren für den IWF. Der Däne war zunächst in Osteuropa aktiv, hat das Moskauer Büro des Fonds geleitet. Heute ist der Ökonom Chef der Europaabte­ilung beim IWF.

Die Europäer haben sich mit den Griechen auf strikte Ziele, die unnötig ambitionie­rt waren, geeinigt.

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Die Sparprogra­mme in Griechenla­nd führen zu regelmäßig­en, immer wieder auch gewalttäti­gen Protesten. Poul Thomsen vom IWF gesteht nun ein, dass die Sparauflag­en zu hart waren. Die Schuld daran trügen aber die Europäer.
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