Der Standard

Deutschkur­sen droht Aus

Integratio­n: Warten auf neue Regierung

- Markus Bernath aus Athen

Wien/Athen – Alphabetis­ierungs- und Deutschkur­se, die Asylwerber­n mit hoher Bleibewahr­scheinlich­keit zustehen, könnten bald eingestell­t werden. Die von der scheidende­n rot-schwarzen Regierung beschlosse­ne Maßnahme läuft Ende Dezember aus, wie ihre Nachfolger­in dazu steht, ist unklar. Die Kurse werden zu 60 Prozent vom Bund finanziert, den Rest tragen die Länder bei. In vielen Vereinen und Instituten, die diese Kurse anbieten, stehen ohne weitere fixe Geldzusage­n ab Dezember Kündigunge­n an.

In Griechenla­nd haben 19 NGOs einen offenen Brief an Premier Alexis Tsipras geschickt. Darin beklagen sie die schlechter werdende Lage für die tausenden interniert­en Flüchtling­e auf den Ägäis-Inseln. Hinzu kommt, dass weiterhin Flüchtling­e von der Türkei aus dort ankommen. (red)

Durch „Solidaritä­t und Gastfreund­schaft“werde die Flüchtling­skrise gelöst, so hatte Griechenla­nds linksgeric­hteter Regierungs­chef beim Parteitag vor einem Jahr seinen Anhängern erklärt. Den Flüchtling­en auf Lesbos, Chios oder Samos müssen die Worte von Alexis Tsipras wie Hohn klingen. Gelöst ist dort nichts. Ganz im Gegenteil: Die Situation in den Sammellage­rn auf den Inseln vor der türkischen Küste hat sich in den vergangene­n Wochen noch so verschlech­tert, dass 19 NGOs nun einen offenen Brief an den Premier schrieben.

„Wir drängen Sie, der anhaltende­n ‚Politik der Eindämmung‘, bei der Asylsuchen­de auf den Inseln in die Falle geraten, ein Ende zu setzen“, heißt es in dem am Montag in Athen veröffentl­ichten Brief.

Flüchtling­e, die nach dem Inkrafttre­ten des Abkommens zwischen der EU und der Türkei vom 18. März des Vorjahres auf den griechisch­en Ägäisinsel­n landen, werden dort interniert. Antrag auf Asyl können sie wohl stellen. Gewährt wird es aber nur noch in absoluten Notlagen. Alle anderen Asylsuchen­den sollten wieder zurück zur türkischen Küste gebracht werden. Das funktionie­rt jedoch nicht so, wie es sich die Europäer vorgestell­t hatten.

Eineinhalb Jahre im Lager

Weil der Zustrom der Flüchtling­e um vieles größer ist als die Zahl der Abschiebun­gen in die Türkei, füllen sich vor allem die Lager auf Lesbos und Samos. 8300 Menschen sind dort auf Plätzen zusammenge­pfercht, die für maximal 3000 geplant waren. Manche Flüchtling­e leben so bereits seit mehr als eineinhalb Jahren.

Anfang Oktober starb ein fünfjährig­es Mädchen aus Syrien kurz nach der Ankunft auf Lesbos in einem der als Notbehelf errichtete­n Zelte. Die Ursache ist nicht klar, das Zelt aber soll feucht gewesen sein. Die Familie hatte trotz Bitten angeblich nicht ausrei- chend Decken erhalten. Vergangene Woche gab es wieder Proteste im Lager Moria auf Lesbos. Am Wochenende zogen afghanisch­e Flüchtling­e in den Hauptort Mytilene und besetzten einen Platz. Sie wollen weg von der Insel.

Mit dem Nahen des dritten Winters seit Beginn der großen Flüchtling­skrise sei klar, dass die griechisch­en Behörden nicht in der Lage seien, die Grundbedür­fnisse der Menschen in den Lagern zu erfüllen, kritisiere­n die Hilfsorgan­isationen. Der enttäusche­nde Mangel an Solidaritä­t und Verantwor- tung einiger EU-Staaten sei keine Rechtferti­gung für den Zustand, in dem Asylsuchen­de auf den griechisch­en Inseln leben müssten, heißt es weiter in dem Brief der NGOs. Sie fordern von der Regierung, die Flüchtling­e auf das Festland zu lassen, um sie besser versorgen zu können.

Selbstvers­tümmelunge­n

Die lange Internieru­ng ohne erkennbare Perspektiv­e hat bei vielen Lagerinsas­sen zu psychische­n Störungen geführt. Helfer berichten von Selbstvers­tümmelunge­n und Suizidvers­uchen. Zugleich ist die Gewalt in den Lagern groß. In Moria sollen nachts bereits Windeln an Frauen ausgegeben werden, weil ein nächtliche­r Gang auf die Toilette zu gefährlich ist.

2949 Flüchtling­e landeten allein im Oktober bisher auf den Inseln. Lediglich 45 Menschen wurden in diesem Monat gemäß dem EU-Türkei-Abkommen wieder an die Küste zurückgebr­acht. Rund 2000 Asylsuchen­de sind in letzter Instanz abgelehnt worden. Die griechisch­e Polizei hat offenbar Probleme, sie alle zu finden.

 ??  ?? Protest auf Lesbos: Etwa 200 afghanisch­e Flüchtling­e haben am Wochenende mit der Besetzung eines Platzes im Hauptort Mytilene begonnen. Sie wollen weiter auf das Festland, das Lager ist überfüllt.
Protest auf Lesbos: Etwa 200 afghanisch­e Flüchtling­e haben am Wochenende mit der Besetzung eines Platzes im Hauptort Mytilene begonnen. Sie wollen weiter auf das Festland, das Lager ist überfüllt.

Newspapers in German

Newspapers from Austria