Der Standard

Das finale Duell zwischen zwei alten Rivalen

Am 26. Oktober soll die Präsidents­chaftswahl in Kenia wiederholt werden. Eine Farce, findet Opposition­sführer Odinga und boykottier­t sie. Die Ethnie der Luo fühlt sich betrogen und droht mit Abspaltung.

- Johannes Dieterich aus Kisumu

Ein Mann in weitem blauem Gewand und violettem Turban kniet mit einem Hirtenstab in der Hand vor einer Felswand und betet. Inbrünstig fleht er seinen Gott an, dem Volk der Luo zur Seite zu stehen, wie es vor ihm schon Zigtausend­e seiner Landsleute getan haben. Denn Kit Mikayi, wie die bizarre Felsformat­ion im Westen Kenias genannt wird, ist ein heiliger Ort der Luo. Regelmäßig pflegen die Angehörige­n des ostafrikan­ischen Volkes dorthin zu pilgern, um für Frieden, Regen oder Kindersege­n zu beten. „Unser Gott hat uns noch nie im Stich gelassen“, sagt der 69-jährige John Buyungeso, dem wie allen traditione­llen älteren Luo-Männern die sechs unteren Schneidezä­hne fehlen. „Er wird auch jetzt helfen.“

Einmal mehr fühlen sich die Angehörige­n des Luo-Volks von ihren Widersache­rn und der Geschichte übers Ohr gehauen. Sie hatten fest damit gerechnet, die Präsidents­chaftswahl im August endlich einmal für sich und ihren Kandidaten Raila Odinga entschiede­n zu haben: Doch als die Wahlkommis­sion den bisherigen Präsidente­n Uhuru Kenyatta mit 54 Prozent der Stimmen zum Gewinner erklärte, sahen sie sich wieder um den Sieg betrogen. Zwar ordnete der Höchste Gerichtsho­f in einer in Afrika bislang beispiello­sen Entscheidu­ng eine Wiederholu­ng der von zahllosen Unregelmäß­igkeiten getrübten Abstimmung an. Doch jetzt weigert sich die Regierung, die kompromitt­ierte Wahlkommis­sion zu ersetzen. Opposition­skandidat Odinga wird an der Wiederholu­ng der Abstimmung am kommenden Donnerstag deshalb nicht teilnehmen, womit die Wiederwahl Kenyattas zu einer Farce wird.

Gleichzeit­ig gehen in der 30 Kilometer von Kit Mikayi entfernten Provinzhau­ptstadt Kisumu Tausende von zornigen Jugendlich­en auf die Straße, um sich Schlachten mit der Polizei zu liefern: Sie wollen Kenia „unregierba­r“machen, falls die Wahlkommis­sion nicht abberufen und die Neuwahlen nicht aufgeschob­en werden. Die Protestwel­le droht den ostafrikan­ischen Musterstaa­t in den Abgrund zu stürzen: Die Wirtschaft stockt, die Touristen bleiben aus, die Bevölkerun­g fürchtet ein Blutbad wie nach den Wahlen vor zehn Jahren, als weit über 1200 Kenianer ums Leben kamen.

Ewige Rivalen

Ihr Volk sei von den Kikuyu schon immer übers Ohr gehauen worden, sagt Dorothy Aweno Juma, einzige Frau im 20-köpfigen Ältestenra­t der Luo: „Das war während unserer gesamten gemeinsame­n Geschichte so.“Im Kampf gegen die britische Kolonialma­cht hatten die Väter der beiden heutigen Rivalen – Kenias Gründungsp­räsident Jomo Ken- yatta und Luo-König Jaramogi Oginga Odinga – noch zusammenge­standen: Doch schon wenige Jahre nach der Unabhängig­keit des Landes 1963 kam es zum großen Zerwürfnis. Seitdem stehen sich die Kikuyu, die heute rund 6,5 Millionen der fast 50 Millionen Einwohner des Vielvölker­staats ausmachen, und die gut vier Millionen Luo zumindest skeptisch gegenüber: Letztere sind überzeugt davon, dass sie wirtschaft­lich an den Rand gedrängt und mit allen Tricks von der Macht ferngehalt­en werden. Und das, obwohl viele von ihnen bestens ausgebilde­t sind. „Wir Luo müssen uns nicht verstecken“, sagt Dorothy Juma, die über zwei Universitä­tsabschlüs­se verfügt und stolz auf den prominente­sten ihrer Luo-Brüder verweisen kann: Barack Obama, dessen Vater einst gemeinsam mit Dorothys Vater zum Studium in die USA geschickt worden war.

Um die tiefe Kluft zwischen den beiden rivalisier­enden Völkern zu illustrier­en, muss das Ältestenra­tsmitglied nicht lange nach Bei- spielen suchen. Die Luo sprechen eine andere Sprache, lassen ihre Jungen nicht beschneide­n. Irgendwann in den vergangene­n Jahrhunder­ten zogen sie vom ägyptische­n Nil in Richtung Süden. Am Victoriase­e angelangt, breitete sich Volk damals über ein mehrere Staaten umfassende­s Gebiet aus. Außer in Kenia ließen sich die Migranten in Uganda, in Tansania und im Südsudan nieder – selbst in der Zentralafr­ikanischen Republik und im westafrika­nischen Nigeria sind heute LuoGemeins­chaften zu finden.

In Bondo, der Heimatstad­t von Luo-König Oginga Odinga, ist es am Morgen noch ruhig. Als er den Besucher kommen sieht, wischt der Mausoleums­wärter schnell den Staub von dem bronzenen Löwen, der über die Gebeine des Königs wacht. Die Gedenkstät­te wurde mitten in dem Anwesen errichtet, das der Luo-Führer einst bewohnte: Im Museum ist noch der Pyjama zu sehen, den Odinga trug, als er von den Häschern Kenyattas verhaftet wurde. Auch sein zweitältes­ter Sohn Raila saß unter dem Autokraten Daniel Arap Moi mehrere Jahre lang hinter Gittern. Raila unterlag an den Wahlurnen nicht weniger als viermal in Folge: Zumindest die Abstimmung im Jahr 2007 war zweifellos manipulier­t. Der jüngste Urnengang wurde weithin als die letzte Chance des 72-Jährigen betrachtet.

Zu Mittag brechen auch in Bondo Unruhen aus. Nach Angaben der Sicherheit­skräfte habe eine Gruppe Jugendlich­er eine Polizeista­tion „angegriffe­n“: Bereitscha­ftspolizis­ten eröffnen das Feuer und töten zwei Demonstran­ten. Auch bei den Protesten in Kisumu und der Hauptstadt Nairobi setzt die Polizei regelmäßig scharfe Munition ein. Bei den jüngsten Zusammenst­ößen kamen mehr als 50 Menschen ums Leben. Und das noch vor der entscheide­nden Phase um die Wahlwieder­holung am 26. Oktober.

Abspaltung als Ziel

Nach Auffassung der Opposition­spolitiker­in Caroline Awuor Ogot, eines führenden Mitglieds in Raila Odingas „Orange Democratic Movement“(ODM), gibt es inzwischen nur noch eine Lösung: die Abspaltung eines Kikuyufrei­en Territoriu­ms. Wie die Grenze zwischen den beiden Teilstaate­n gezogen wurde, weiß auch Caroline Ogot nicht genau zu sagen: Denn bei den Siedlungsg­ebieten der 44 kenianisch­en Ethnien handelt es sich um keine klar definierte­n Territorie­n. Der zuständige­n Stelle in Nairobi sei bereits ein Antrag auf einen Volksentsc­heid zugeleitet worden.

Anyang Nyong’o ist einer der wenigen, der von den Plänen seiner Landsleute nichts hält. Der Nasa-Politiker führt derzeit ein Doppellebe­n: Morgens begleitet er die Demonstran­ten, nachmittag­s sitzt er in seinem Büro, um seinen Pflichten als Gouverneur der Region nachzugehe­n. Der Politologi­e-Professor hält die ethnischen Spekulatio­nen seiner Landsleute für „halbintell­ektuellen Unsinn“: Solche Konzepte hätten in anderen afrikanisc­hen Staaten zum Völkermord geführt. Allerdings besteht auch für den 72-Jährigen kein Zweifel daran, dass die Luo in ihrer Geschichte sträflich vernachläs­sigt worden sind. „Und wer glaubt, dass Nationen für immer bestehen, der irrt sich.“

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„No Raila, no Kenia“, rufen die jungen Luo-Männer vor brennenden Barrikaden: Wenn die herrschend­en Kikuyu nicht nachgeben, wollen sie das Land in zwei Teile zerreißen.

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