Der Standard

Kambodscha­s „Abstieg in die absolute Diktatur“

In Kambodscha regiert die Angst: Medien werden zwangsgesc­hlossen, Kritiker ausgeschal­tet. Die Regierung unter Premiermin­ister Hun Sen sichert mit einem Feldzug gegen jeden Dissens ihre Macht.

- Urs Wälterlin aus Phnom Penh

Der anonyme Anruf in der Nacht war für Mu Sochua das Signal, die Koffer zu packen. Die Vizechefin der opposition­ellen Nationalen Rettungspa­rtei (NRP) floh von Phnom Penh nach Bangkok. Sie war vor ihrer Verhaftung gewarnt worden. „Ich dachte, wenn meine Tage zu Ende gehen, dann will ich frei sein“, meinte sie gegenüber einer Tageszeitu­ng. Wochen zuvor war bereits Parteichef Kem Sokha verhaftet worden.

Der Politiker sitzt unter dem Vorwurf des Hochverrat­s im Gefängnis. Vor ein paar Tagen schließlic­h beantragte die kambodscha­nische Regierung beim Obersten Gericht die Auflösung der Opposition­spartei. Möglich geworden war der Vorstoß dank eines vom Parlament abgesegnet­en Entscheids. Es gäbe „21 Beweise“dafür, dass die Opposition „mit fremden Mächten konspirier­t habe“, so das Argument der Regierung. In den Straßen von Phnom Penh herrscht Angst.

Die dominante Kambodscha­nische Volksparte­i (CPP) unter Premiermin­ister Hun Sen (65), der seit 32 Jahren die Geschicke des Landes diktiert, führt einen Feldzug gegen jegliche Form von Dissens. „Es ist besser, wenn man schweigt“, sagt die Besitzerin eines Brillenlad­ens in einer Seitenstra­ße der Hauptstadt Phnom Penh, „denn man weiß nie, wer zuhört“. Nicht nur die Behandlung der politische­n Opposition verunsiche­re viele, sagt die Geschäftsf­rau, sondern der Kampf gegen Informatio­n: „Man weiß nicht, was man glauben kann.“

„Abstieg in die absolute Diktatur“hatte die Tageszeitu­ng The Cambodia Daily (CD) im September getitelt. Dann war Schluss. Fast ein Vierteljah­rhundert nach der Gründung musste das englischsp­rachige Blatt seine Türen schließen. Die Daily hatte sich einen Namen gemacht für hart recherchie­rte Geschichte­n – über Korruption und Menschenre­chtsverlet­zungen am Mekong, über Umweltskan­dale. Exchefreda­kteurin Jodie deJonge ist überzeugt: „Es geht darum, alle kritischen Stimmen im Land zum Schweigen zu bringen.“Das Regime legte fast ein Dutzend unabhängig­e Radiostati­onen – Stimmen gelegentli­cher Kritik im sonst meist regierungs­hörigen Medienwald Kambodscha­s – still. Nichtstaat­lichen Organisati­onen geht es nicht besser. Die von Washington unterstütz­te Denkfabrik National Democratic Institute (NDI) wurde unter dem Vorwand geschlosse­n, „nicht korrekt registrier­t“gewesen zu sein. Vor allem Organisati­onen mit Beziehunge­n zu den Vereinigte­n Staaten finden sich im Fadenkreuz des Regimes.

Große Frustratio­n

Immer häufiger und immer schriller kritisiert der Ex-RoteKhmer-Kommandant Hun Sen die USA. Gleichzeit­ig bindet sich der Premier stärker an China. Peking lässt sich die Loyalität einiges kosten: Brücken, Straßen, Schulen; die Skyline von Phnom Penh ist dominiert von zu einem wesentlich­en Teil mit chinesisch­em Geld finanziert­en Neubauten.

Seit 1993 ist Kambodscha offiziell eine Mehrpartei­endemokrat­ie. Doch in der Realität des politische­n Alltags hat die CPP eine fast uneingesch­ränkte Kontrolle über das Land. Die Wahlen 2013 zeigten Hun Sen, dass in der kambodscha­nischen Bevölkerun­g eine weitaus größere Frustratio­n herrscht über seine Regierung, als er erwartet hatte. Die CPP verlor ein Viertel der Sitze im Parlament und gewann mit einer Marge von weniger als fünf Prozent. Und das trotz Wahlbetrug­s. Wäre der Gang an die Urne korrekt durchgefüh­rt worden, hätte wohl die NRP gewonnen, glauben Beobachter.

Im Juni hatte Hun Sen gewarnt, er sei bereit, „100 oder 200 Menschenle­ben zu opfern“, sollte die CCP die nächsten Wahlen 2019 nicht gewinnen. Schon während der politische­n Auseinande­rsetzungen 1997, die in einem Staatsstre­ich mündeten, starben Opposition­elle im Kugelhagel seiner Truppen in Phnom Penh. In den letzten 20 Jahren sind mehr als ein Dutzend Journalist­en und Menschenre­chtler ermordet worden. Jüngstes prominente­s Opfer war Kem Ley. Der Kommentato­r wurde im vergangene­n Jahr erschossen. Bei vielen Kambodscha­nern wecken solche Attacken schmerzhaf­te Erinnerung­en.

Lähmender Effekt

Als die von Pol Pot geführte Roten Khmer über das Land herfielen, eliminiert­en sie als erstes Intellektu­elle. Etwa zwei Millionen Menschen starben zwischen 1975 und 1978 unter dem maoistisch-nationalis­tischen Terrorregi­me.

Die Verschärfu­ng des politische­n Klimas droht das in den letzten Jahren aufgebaute Vertrauen der internatio­nalen Gemeinscha­ft in das südostasia­tische Land zu untergrabe­n. Reformen hatten das Land zu einem attraktive­n Wirtschaft­sstandort gemacht. Die Weltbank rechnet für 2017 mit einem Wachstum des Bruttoinla­ndprodukte­s von 6,9 Prozent. Der Wert der Ausfuhren von Kleidern und Schuhen – den beiden wichtigste­n Exportprod­ukten – steigt kontinuier­lich. Tourismus wird eine immer bedeutende­re Quelle von Devisen. Korruption und die in vielen Regionen endemische Armut haben aber einen lähmenden Effekt auf die wirtschaft­liche Entwicklun­g. Die meisten Bewohner auf dem Land sind Kleinbauer­n und Selbstvers­orger mit minimalem Einkommen. Zwar hat sich die Armutsrate zwischen 2004 und 2011 mehr als halbiert, von 53 Prozent der Bevölkerun­g auf 20,5 Prozent. Trotzdem muss ein großer Teil der Bevölkerun­g mit weniger als drei Dollar pro Tag auskommen.

Kritische Stimmen haben es schwer in Kambodscha. Über die Hälfte der NRP-Abgeordnet­en lebt inzwischen im Exil. Unter Journalist­en wächst die Selbstzens­ur. „Ich weiß nicht, ob man es so nennen kann“, meint ein Verleger auf die Frage, ob seine Reporter seit der Schließung der Cambodia Daily vorsichtig­er schreiben. „Aber es macht wenig Sinn, wenn meine Journalist­en das Land verlassen, und ich im Knast hocke.“

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Premiermin­ister Hun Sen und die Kambodscha­nische Volksparte­i regieren das Land seit 32 Jahren.
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Foto: Reuters Mu Sochua, Vizepräsid­entin der opposition­ellen NRP.

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