Die erdrosselte nörgelnde Mutter
Mordprozess gegen 53-Jährigen wegen Tods der „Mama“
Wien – Als die psychiatrische Sachverständige dem Geschworenengericht das Verhältnis zwischen Vijay S. und seiner Mutter beschreibt, spricht sie von einer „destruktiven Symbiose“und einem möglichen „belastungsreaktiven Durchbruch“. Was sie meint: Die 80-Jährige könnte ihrem 53 Jahre alten Sohn so auf die Nerven gegangen sein, dass er sie am 23. Februar aus Zorn erdrosselte.
Vorsitzenden Andreas Böhm interessiert im Mordprozess gegen den Unbescholtenen daher die Vorgeschichte. Vor 33 Jahren kam S. aus Indien, baute sich hier eine Existenz auf, erwarb die Staatsbürgerschaft. Es folgte die Hochzeit in Indien, 1994 kam die Frau mit dem kleinen Sohn nach, 2005 eine Tochter zur Welt. „Wir haben auch Hilfe gebraucht für die Tochter und damit meine Frau wieder arbeiten gehen kann“, nennt der Angeklagte zwei der Gründe, warum er 2005 auch seine Mutter aus Indien holte und die in die Familienwohnung zog.
Es lief nicht harmonisch. Im Gegenteil: Der Enkel des Opfers, ein Student, schildert als Zeuge, dass seiner Großmutter die Integration „sehr, sehr schwergefallen“sei. Mit der Schwiegertochter habe sie sich nicht gut verstanden, den Angeklagten immer wieder kritisiert. „Ein Beispiel: In Indien ist es üblich, dass der Sohn der Mutter ein Haus baut. Das ist hier natürlich nicht möglich, aber sie hat sich immer wieder darüber beschwert“, schildert der Zeuge. Der Angeklagte bemüht sich dagegen, nichts über seine „Mama“, wie er sie konsequent nennt, kommen zu lassen. „Es hat nie Probleme gegeben“, behauptet er, erst auf Nachbohren berichtet er doch von gelegentlichen Streitereien.
Ab 2014 war er wegen Depressionen in Behandlung, im August 2016 kam es zur Scheidung. Es dauert bis Februar, bis der Angeklagte eine kleine Wohnung für sich und seine Mutter bekam. Am Tattag zeigte er ihr sie erstmals. Bei der Polizei und dem Haftrichter hat er stets recht stringent geschildert, was passiert sei: Sie habe herumgenörgelt, ihm sei der Kragen geplatzt, und er habe sie mit ihrem Halstuch stranguliert, ehe er sich selbst mit einem Küchenmesser töten wollte.
Nun erzählt er plötzlich, sie habe ihn zuerst mit dem Messer verletzt. Nachdem er die Waffe gereinigt und sich verarztet habe, sei sie regungslos dagesessen. Er habe Angst um sie bekommen. „Ich habe meinen Verstand verloren. Ich habe sie von hinten an ihrem Halstuch genommen und gerüttelt, aber ich wollte nicht, dass sie stirbt“, behauptet S. schluchzend.
Dass der Gerichtsmediziner diese Version für unplausibel hält, fechten die Geschworenen nicht an. Sie verurteilen S. nicht rechtskräftig für Totschlag – die Erdrosselung nach der Messerattacke – zu fünf Jahren Haft.