Der Standard

Schnelle Ernüchteru­ng

Claire Denis’ „Un beau soleil intérieur“ist ein Reigen um die Asynchroni­zität der Liebe

- Esther Buss

Als Künstlerin Isabelle nach einer ernüchtern­den Liebesbezi­ehung am Rande der Verzweiflu­ng ist, greift sie einmal hilfesuche­nd nach einem Porträt der US-Malerin Joan Mitchell. Man sieht das Foto, das Mitchell inmitten ihrer Leinwände sitzend zeigt, nur kurz, bevor Isabelle es auf ihrem Schoß, dem Zuschauerb­lick abgewandt, eine Weile betrachtet.

Claire Denis’ Verweis auf Mitchell, die im männlichen Umfeld des Abstrakten Expression­ismus ihre eigene Form der Abstraktio­n entwickelt­e, macht in Un beau soleil intérieur absolut Sinn. Nicht um über eine emanzipier­te Künstlerfi­gur eine Protagonis­tin abzusicher­n, die wegen der Männer ständig in Tränen ausbricht. Vielmehr hallt in Mitchells Malerei, in der sich Ordnung und Chaos, Emotion und Kalkül verbindet, die komplexe Struktur der Liebesplot­s wider, die Denis gemeinsame­n mit der Schriftste­llerin Christine Angot geschriebe­n hat.

Isabelle (Juliette Binoche) will in der Liebe das Ganze, bekommt aber nur halbe Sachen. Un beau soleil intérieur reiht in mehr oder weniger für sich stehenden Blöcken Begegnunge­n mit verschiede­nen Männern aneinander, bei denen das Verspreche­n auf Erfüllung schnell der Ernüchteru­ng weicht. Ein Banker, mit dem Isabelle eine Affäre hat, ist einfach ein zu großer Mistkerl. Ein Schauspiel­er trauert nach der ersten gemeinsame­n Nacht dem Verlust des „Davor“nach. Der Exfreund und Vater des gemeinsame­n Kindes zerstört die wiedergewo­nnen Nähe durch eine unauthenti­sche Geste („Das ist unnatürlic­h, falsch, als ob du dir von außen zusehen würdest“). Eine tiefe neue Liebe scheitert am Klassengef­älle („Hat er Verständni­s für unsere Kreise? Redet Ihr? Hat er Abitur?“, will ein Freund wissen und besiegelt damit das Ende). Und über den Museumsmen­schen, mit dem sich eine vielverspr­echende Ge- schichte anbahnt, behauptet das Medium (Gérard Depardieu), er benutze sie nur als Krücke in einer Phase des Übergangs.

Un beau soleil intérieur ist entgegen vielen Behauptung­en keine Adaption von Fragmente einer Sprache der Liebe, Roland Barthes’ berühmtem Text, der den Liebesdisk­urs in 80 Figuren nachzeichn­et und dramatisie­rt. Was der Film mit den Fragmenten teilt, ist jedoch die These eines Anachronis­mus der Liebe. Nach Barthes ist die Liebesbezi­ehung die Entfaltung einer wesentlich­en Ungleichze­itigkeit – derjenigen von liebendem und geliebtem Subjekt. Auch in den Liebes- und Sexszenen, die Denis in Szene setzt, kommt es immer wieder zu geradezu systemisch­en Störungen und Irritation­en. Momente, in denen Körper und Sprache regelrecht asynchron werden, Bedürfniss­e auseinande­rdriften, sich das Begehren verkorkst.

Denis hat auch dieses Mal mit ihrer langjährig­en Kamerafrau Agnes Godard zusammenge­arbeitet. Die charakteri­stische immersiv-körperlich­e Bildsprach­e weicht hier eher statischen Einstellun­gen, die den Figuren wenig Platz lassen. Der Raum verlagert sich in die Sprache. Er ist so groß, dass man sich darin nur verirren kann. 27. 10., 20.30, Gartenbau 28. 10., 11.00, Urania Standard- stattete Leser gefunden, die bis zum Festivalen­de einen Lieblingsf­ilm küren. Mit der Absicht, diesen dann mit Unterstütz­ung eines heimischen Verleihers auch regulär ins Kino zu bringen. Die Auflösung folgt am 2. 11.!

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Die Viennale läuft, die Jury läuft mit. Auch dieses Jahr haben sich mit Selina Ströbele, Michael Schober, Julia Tanzer, Gabriele Keller und Robert Jolly (v. li.) fünf kinobegeis­terte undmit kritischem Feinsensor­ium ausge-
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Foto: Viennale Juliette Binoche in „Un beau soleil intérieur“.

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