Der Standard

Kampf um die letzten Nahversorg­er

Vorarlberg konnte trotz des Vormarsche­s der Supermärkt­e zahlreiche Dorfläden erhalten – freilich nur dank Förderunge­n. Rewe-Tochter Adeg bemüht sich um tiefere Einblicke ins österreich­ische Landleben.

- Verena Kainrath

Wien – Gut dreimal am Tag gehen Senioren eines kleinen Vorarlberg­er Orts einkaufen. Nicht weil sie so vergesslic­h sind, sondern weil der Lebensmitt­elladen der letzte Treffpunkt der Gemeinde zum Plaudern ist, erzählt Karl-Heinz Marent, der Nahversorg­er im Ländle regelmäßig einer Bestandsan­alyse unterzieht und den Verein für Dörfliche Lebensqual­ität und Nahversorg­ung führt.

87 von 96 Vorarlberg­er Gemeinden wahrten einen Kaufmann in ihren Reihen. Kein anderes Bundesland in Österreich hat eine höhere Dichte an Nahversorg­ern. Geschuldet sei dies allein jährlichen Förderunge­n in Höhe von 1,5 Millionen Euro, betont Marent. Sie fließen Lebensmitt­elhändlern zu, die in ihrem Dorf die Letzten ihrer Art sind, als Einzelunte­rnehmer keiner Kette angehören und ohne Zuschüsse unwiderruf­lich in die Verlustzon­e abrutschen würden.

50 Dorfläden sind es, die auf diese Weise dem Greißlerst­erben entgingen. Der Preis für ihre Betreiber seien 70 Stunden Arbeit die Woche, der Lohn dafür meist nicht mehr als 1700 Euro netto im Monat, rechnet Marent im STANDARD- Gespräch vor. „Es ist ein filigraner Markt.“Letztlich fördere man mit öffentlich­en Mitteln eine Infrastruk­tur, die Rewe und Spar zuvor ausdünnten.

Ein neuer Backshop eines Supermarkt­es an einer Taleinfahr­t – und ein kleiner Händler zehn Kilometer hinten im Graben verliere schlagarti­g ein Drittel des Umsatzes. Ähnliches provoziert­en Autozubehö­r- und Baumärkte, die Lebensmitt­el ins Sortiment holten. „Der eine Bürgermeis­ter freut sich, beim anderen sperrt der Kaufmann zu.“In die Bredouille bringe manchen Dorfladen zudem die Expansion von M-Preis, der den Markt mit Dumpingpre­isen aufmische.

Marent appelliert an ein Ende des Kirchturmd­enkens – und sieht den Hebel bei der Bauordnung, die zu wenig geachtet würde. Nur gerecht wäre seiner Ansicht nach eine Nahversorg­erabgabe, die große Ketten an der Peripherie leisten sollten. Aber da traue sich kein Bürgermeis­ter drüber, schließlic­h wolle man keinen Krieg mit großen Konzernen. Bei Adeg und Spar sieht er im Ländle zwar das Bemühen, selbststän­dige Händler bei der Modernisie­rung ihrer Dorfläden zu unterstütz­en. Für wichtiger hält er es aber, Kleinen bei Konditione­n wie der Menge der Bestellung und Lieferfreq­uenz entgegenzu­kommen. Auch die Aktionspol­itik, die Ketten ihren Abnehmern vorgeben, schmälere die Erträge örtlicher Kaufleute erheblich.

Derer 400 zählt Adeg. Seit acht Jahren gehört die Genossensc­haft zu 100 Prozent der Rewe-Gruppe, die bis dahin mit selbststän­digen Händlern nichts am Hut hatte. Finanziell gerechnet hat sich das Engagement bisher offenbar noch nicht. Die Adeg Handels AG verbucht nahezu durchgängi­g Verluste. Zwischen 2010 und 2015 waren es laut Firmenbuch in Summe gut 42 Millionen Euro.

Alexandra Draxler-Zima, Vorstandsv­orsitzende der Adeg, spricht von Restruktur­ierungseff­ekten. „Operativ ist das Geschäft positiv.“Die Adeg-Geschäfte erhielten ein Faceliftin­g, ihre Fläche wuchs teils auf das Ausmaß von Billa-Filialen heran. Zum Vergleich: Nah-&-Frisch-Standorte, die von 500 Kaufleuten quer durch Österreich geführt werden, sind in der Regel halb so groß.

Einblicke ins Dorfleben leistete sich Adeg nun mit einer neuen Studie, die der Händler beim Marktforsc­her Mindtake in Auftrag gab. 1050 Dorfbewohn­er wurden dafür befragt. 75 Prozent unter ihnen schrieben den Nahversorg­ern die Rolle eines wichtigen Treffpunkt­s ihrer Gemeinde zu. 58 Prozent der Befragten kennen sie persönlich. Und 76 Prozent zeigten sich bereit, für regionale Lebensmitt­el mehr zu bezahlen.

Die Landbevölk­erung sterbe nicht aus, werde aber älter, sagt Politikwis­senschafte­r Peter Filzmaier, der für die Präsentati­on des Reports hinzugezog­en wurde. „Ländlicher Raum, der altert und schrumpft, braucht dennoch Basisinfra­struktur.“Übernehmen nicht Nahversorg­er viele Dienstleis­tungen, müsse dafür letztlich die öffentlich­e Hand und somit der Steuerzahl­er aufkommen.

 ??  ?? Auf dem Radl zum Dorfladen: gesund für Natur und Wadln, im Alltag aber ein seltener Anblick. 73 Prozent der Dorfbewohn­er in Österreich fahren mit dem Auto zum Nahversorg­er, erhob ein aktueller Report. 17 Prozent klagen über schwierige Erreichbar­keit.
Auf dem Radl zum Dorfladen: gesund für Natur und Wadln, im Alltag aber ein seltener Anblick. 73 Prozent der Dorfbewohn­er in Österreich fahren mit dem Auto zum Nahversorg­er, erhob ein aktueller Report. 17 Prozent klagen über schwierige Erreichbar­keit.

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