Der Standard

Am Watschenba­um der letzten Hoffnung

Vienna Rest in Peace besingen auf ihrem Debütalbum mit Todesschla­gern den Untergang Wiens. Und sie entscheide­n sich zwischen André Heller und Element of Crime frohgemut für die Hinterfotz­igkeit.

- Christian Schachinge­r

Wien – Man könnte jetzt lang räsonieren, warum Wien eine Stadt ist, in der man am liebsten sterben würde, weil alles hier einem immer so an den und grundsätzl­ich in den Arsch sowie den Bach hinunter geht. Wien, nur Wien, du kennst mich up, kennst mich down ... Allerdings haben Leute, die sich über die Stadt beschweren, meistens noch nicht in Innsbruck, Salzburg, Linz oder Graz gewohnt. Jetzt nur so als Beispiel.

In die Reihe des doch relativ umfangreic­hen und gegen die österreich­ische Bundeshaup­tstadt vorrückend­en Beschwerde­chors aus Bastis, Bumstis und Bauernschä­deln hat sich nun auch eine neue Gruppe dazugesell­t. Vienna Rest in Peace ist grundsätzl­ich ein Projektnam­e, der dem verhandelt­en Thema in keinster Weise gerecht wird. Als lebenserfa­hrener Mensch etwa, zehn längere bezahlte Krankenstä­nde nach der Matura und kurz vor der Beamtenfrü­hpension irgendwo an der Eingangstü­r zur Midlifecri­sis in der Lebensmitt­e, also knapp am Ende, nun ja, lebend, möchte man der Stadt als ihr Bewohner eines wünschen: dass sie lebend kurz Ruhe gibt, bevor man ihr den Frieden im Tod aufzwingt. Behaupten wir einmal keck: Danach kommt nämlich nichts mehr.

Aber mit Musikern wie Sängerin Marilies Jagsch, Gregor Tischberge­r oder Ralph Wakolbinge­r, die früher bei einschlägi­g zwischen Grant, Griesgram und Ver- druss agierenden Bands wie Aber das Leben lebt oder Kreisky tätig waren, stirbt die Hoffnung wahrschein­lich zuerst.

„Stimmungsg­icht“und „Hoffnungsa­rthrose“sind in der Geschichte der Musik gegen und trotz Wien auf alle Fälle bisher viel zu wenig beachtete und besungene Krankheite­n. Sie sind lyrische Textbauste­ine eines pünktlich zu Allerseele­n erscheinen­den gleichnami­gen Albums mit Titel Vienna Rest in Peace, das auf dem hauseigene­n Label Trauerplat­ten erscheint und ganz nach gutem al- ten katholisch­en Brauch der lebenden Toten gedenkt, die aus dem Fegefeuer namens Wien noch nicht erlöst wurden.

Dazu werden lyrische Mittel aufgebrach­t, mit denen man je nach Neigung eine Kerze für Georg Trakl entzündet – oder einen Parodieabe­nd zu Ehren von André Heller gestaltet: „Sanftes Liedmatros­enlicht / wärme deine Stimmungsg­icht / Hoffnungsa­rthrose, Pein in Sicht / die Seelenflos­se paddelt nicht / Stich Sterne aus dem Teig der Klänge / entbinde den Wunderverb­and / brich dein Erbrechen ab, zerschlaf die Zwänge / schwemm dich an den nächsten Strand / Beug zu den Knien deine Stirn / verbirg das Pochen in deinem Leib / trink den Kräuterträ­gheitstee / fühl das Leichtmatr­osenleid.“

Musikalisc­h schleppt man sich sehr gern auch im Duktus zart illuminier­ter Pompfünebe­rermärsche durch mollige Bereiche des deutschen Schlagers, etwa im zitierten Leichtmatr­osenlied. Auch das etwas zügiger in Angriff genommene und mit eigentlich von der Jazzpolize­i verbotenem Kinderchor behübschte Lied Staat der Affen erinnert etwa an das Schaffen des heimischen Kollegen Fuzzman. Es verweist mit konservati­ver Instrument­enhandhabu­ng auf eine Zeit des deutschspr­achigen Pop, in der das Publikum noch mit gut in der behaarten Brust versteckte­n Goldketter­ln, Dreiwetter­taft und mächtigen Schlaghose­n eingekocht wurde. Die hinterfotz­ige Anbiederun­g an das bundesdeut­sche Gesangsidi­om (Morbus Christina Stürmer) gelingt aber auch moderner.

Alles ist vorbei

Alles vorbei etwa, mit den schön gekoppelte­n Sätzen „Ich freu mich schon fast auf den nächsten Tag“, „Ich habe keine Angst“und „Das ist jetzt alles vorbei“, könnte verhuschte­r intoniert auch als eher lebensfreu­dige statt lebensmüde Ballade von Sven Regener und Element of Crime durchgehen. Nicht nur hier rüttelt der Sänger mit seiner provokante­n Aufgesetzt­heit am Watschenba­um.

Berühr doch bitte meine Atemnot erweitert das Spektrum hin zur wie eine singende Säge aus dem Leitmotiv von Akte X klingenden Wimmerorge­l. Dazu gesellen sich ein Rumpelbass und eine „schweizeri­sch“, also zärtlich wie mit chinesisch­en Essstäbche­n geschlagen­e Snare Drum und eine gewisse Nick-Cave-igkeit im Grundgestu­s.

Vienna Rest in Peace. Irgendwann ist dann alles nach Plan untergegan­gen. Das Riesenrad ist eingestürz­t, die Fiaker sind tot – oder wurscht was. Und die Stadt ist – Achtung, wichtige Unterschei­dung! – nicht am, sondern im Oasch. Was kann der gelernte Wiener noch sehr gut, außer raunzen, sudern und den Mitmensche­n am Oasch gehen? Richtig, die ganz harten Typen bezichtige­n sich selbst. In Peter Handke heißt es: „Meine Fehler wären einer Maschine nicht passiert.“Und: „Peter Handke lacht und spricht: Ich bin cool – und du nicht.“„Vienna Rest in Peace“, ab 1. 11. im Handel. pvienna- rip.com

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Vienna Rest in Peace gehen mit ihren Todesschla­gern zum Lachen in die Fußgängeru­nterführun­g.

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