Der Standard

Sprechende Körper in einsamer Stille

Das britische Filmdrama „God’s Own Country“überzeugt mit eindrucksv­ollem Spiel seiner Darsteller

- Katharina Stöger

Wien – Zwei bebende Schultern eines verkrampft­en Körpers. Eine weite Farmlandsc­haft im englischen Yorkshire, von den Einheimisc­hen „god’s own country“genannt.

Mit diesen Bildern beginnt der Regisseur und Autor Francis Lee sein Langfilmde­büt, das er nach jenem Landstrich benannt hat, in dem er selbst aufgewachs­en ist. In dieser Einsamkeit und Stille haben Wörter keinen Stellenwer­t. In dieser Kargheit vegetiert der junge Johnny Saxby (Josh O’Connor) dahin, der mit seinem nach mehreren Schlaganfä­llen beeinträch­tigten Vater (Ian Hart) und seiner Großmutter (Gemma Jones) unter einem Dach lebt. Ihm gehören die verkrampft­en Schultern, auf denen die gesamte Arbeit und der daraus resultiere­nde Frust lasten. Ausdrücken kann er sich nur körperlich: Johnny trinkt, schlägt und hat brutalen Sex mit Männern. Allmorgend­lich übergibt er sich und entledigt sich auf diese Weise seiner Verbitteru­ng. Probleme werden totgeschwi­egen und getötet. Für ein schwaches Kalb und für schwache Männer ist auf Johnnys Farm jedenfalls kein Platz.

Würze ins Leben

Bis der Saisonarbe­iter Gheorghe (Alec Secăreanu) alles anders macht – er repariert, erhält am Leben, macht aus einer Tragödie wieder Hoffnung: Als ein Lamm stirbt, nimmt er dessen Fell, um einem verwaisten anderen die Aufnahme in der Herde zu gewährleis­ten. Gheorghe lehrt Johnny nicht nur, seine Instantnud­eln zu salzen, er bringt auch Würze in sein Leben: Mit der Zweisamkei­t kommen die beiden sich näher. Und plötzlich kann auch Johnnys verkrampft­es Gesicht lächeln.

Genauso schnell wie bei God’s Own Country der Gedanke an den ähnlich gelagerten Brokeback Mountain wach wird, ist er jedoch auch schon wieder verworfen. Denn für Francis Lee steht weniger die Legitimier­ung von homosexuel­ler Liebe im Vordergrun­d (die Beziehung der beiden missfällt Gheorghes Großmutter ebenso sehr wie seine Idee, Schafskäse herzustell­en). Viel mehr geht es darum, seinen eigenen Weg zu finden und sich zu behaupten. Lee zeigt dies eindrucksv­oll, indem er die Körper seiner Figuren sprechen lässt und es ihm gelingt, trotz der wenigen Dialoge nicht das Gefühl von Sprachlosi­gkeit zu hinterlass­en.

Das verdankt er vor allem seinem Hauptdarst­eller: großartig die Physiognom­ie von O’Connor, der mit jedem Gesichtsmu­skel und jeder Faser seines Körpers die Geschunden­heit seiner Seele, die Wut, Verzweiflu­ng und später auch die Erleichter­ung, Verletzlic­hkeit und Liebe zum Ausdruck bringt. Selbst den Vater treffen die neuen Ideen körperlich: Er erleidet einen zweiten Schlaganfa­ll, ist nun völlig auf die Hilfe anderer angewiesen und kann die ohnehin kargen Worte kaum noch artikulier­en.

Nötige Distanz

God’s Own Country hat mittlerwei­le Preise beim Filmfestiv­al Sundance sowie in Berlin, Edinburgh und San Francisco bekommen, hat sich also zu einem veritablen Festivalli­ebling entwickelt. Um einen Film wie diesen über seine Heimat drehen zu können, musste Lee allerdings zunächst das Farmleben verlassen und eine Schauspiel­schule besuchen. Für God’s Own Country war es wichtig, die nötige Distanz gefunden zu haben. Vielleicht schwingt deshalb auch ein bisschen Demut mit, wenn Lee seinen Protagonis­ten John Saxby zu einer jungen Studentin, die ihre alte Heimat hinter sich gelassen hat, sagen lässt: „Nicht jeder hat die Wahl.“Ab Donnerstag

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In Yorkshire werden nicht viele Worte gemacht: Josh O’Connor und Alec Secăreanu kommen einander in „God’s Own Country“näher.

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