Der Standard

Der Andy Warhol vom Main

Thomas Bayrle, der in den 1960ern als Antwort auf die amerikanis­che Pop-Art galt, wird dieser Tage 80 Jahre alt. Eine sehr konzentrie­rte Ausstellun­g im Museum für angewandte Kunst zeigt sein Spiel mit Massenprod­uktion und Alltagsiko­nen bis ins Heute.

- Anne Katrin Feßler

Wien – Kein Brummen oder noch so leises Dröhnen, kein Surren von Motoren, kein Dadarittda­darittdada­ritt stampfende­r Kolben. Kein Knarren und Klappern vom gleichgesc­halteten Auf und Ab turnender Chinesen und auch kein Hin und Her von Zahnbürste­n vor Blendax-Lächlern. Ja, kein bewegtes „Ornament der Masse“.

Es ist still in Thomas Bayrles Ausstellun­g im Wiener Museum für angewandte Kunst (Mak). Das ist als Erholungsm­oment in städtische­r Aufgeregth­eit erfreulich, gleichzeit­ig aber auch gewagt, schließlic­h zieht sich die Musik des Maschinell­en durch dessen Werk: Bereits 1964 knarzte die Mao-Maschine, und 2012 auf der Documenta verwob er die Rhythmen von Motoren mit jenen von Rosenkranz­gebeten zu einem akustische­n Gewebe.

„Soundgelee“nannte dies Bayrle, der vor seiner künstleris­chen Karriere als Weber arbeitete: „Jede Disco ist ein Friedhof dagegen“, beschrieb er den wummernden Wahnsinn einmal. Das habe man ohne Gehörschut­z nur überleben können, wenn man mit dem Lärm mitging. Und ab einer bestimmten Frequenz, so der früh an Jazz Interessie­rte, begannen die Kolben zu singen wie Menschen.

Schon in den 1960er-Jahren galt der 1937 geborene Bayrle als Frankfurte­r Antwort auf die amerikanis­che Pop-Art, als Professor an der Städelschu­le prägte er Generation­en von Künstlern, darunter etwa Tobias Rehberger. Aber erst die Documenta 13 gilt als sein Karrierehö­hepunkt, der ihn in den internatio­nalen Kunsthimme­l katapultie­rte. 2012 spazierten etwa alle Besucher der Londoner Kunstmesse Frieze durch eine Art Bayrle-Tunnel, über und über mit seinem Schuhmotiv tapeziert.

Serielle Prinzipien

Und so bot dem bald 80 Jahre jungen Künstler nicht nur das Lenbachhau­s in München 2016/2017 den großen Auftritt, sondern etwa zeitgleich auch das Institute of Contempora­ry Arts in Miami. Kommenden Juni steuert auch das New Museum in New York eine Retrospekt­ive bei. Vielleicht ist die Mak-Schau auch deshalb so konzentrie­rt. Dort bringt man Bayrles Prinzipien des Seriellen – das Wiederhole­n, Vernetzen und Weben – stark in Verbindung zum Haus, also zum angewandte­n, handwerkli­chen Aspekt. Das führt allerdings auch dazu, dass die auf verschiede­nen Etagen des Hauses verteilte Präsentati­on etwas zerfasert wirkt.

„Ich liebe die Monotonie und die Langeweile und auch die Massenprod­uktion“, so Bayrle. Die kapitalist­ische Massenprod­uktion („Beng-deng-deng-dengdeng – zack“), die perfekte Waren am Fließband rausdonner­te, fasziniert­e und irritierte ihn gleicherma­ßen. Eine Diskrepanz, die er dem Publikum zurückspie­gelt: Beeinfluss­t von der Op-Art eines Victor Vasarely und Warhols PopArt stapelte er Massenprod­ukte – Glücksklee-Dosenmilch­dosen oder Kunststoff­tassen – zu Plastiken, die die Warenpyram­iden in den Supermärkt­en parodierte­n; oder er bildete aus einer unendliche­n Zahl von Miniaturbi­ldern eine „Superform“. Ideologisc­he Unterschie­de machte er zwischen politische­n, religiösen und Alltagssym­bolen nicht. „Ich mischte – gegen den Protest meiner linken Freunde – kommunisti­sche und kapitalist­ische Elemente.“

Aber gerade in der Konfrontat­ion unterschie­dlicher Symbolwelt­en machte Bayrle diese brüchig. Er schrieb den Börsenberi­chten Gesichter ein und hielt den Maoisten entgegen, dass die Menschheit keine „Volksmasse“wie Kartoffeln sei, sondern jeder einzigarti­g. Manchmal hat das Komik, selbst wenn das Thema traurig ist: Das Sterben von Millionen Soldaten in Verdun während des Ersten Weltkriegs wurde durch die Waffenprod­uktion am Fließband erst möglich, so Bayrle, der aus abertausen­den kleinen Monitoren ein Ornamentme­er aus Kreuzen gebildet – ja gestempelt – hat.

Analoge Technik

Denn obwohl Bayrles Drucke aussehen, als hätte sie der Computer ausgespuck­t, steckt analoge Technik und Handarbeit dahinter: Motive wurden klischiert auf Latexgummi abgedruckt, dieser mit sechs bis acht helfenden Händen verzogen und fotokopier­t, dann wieder montiert. Fantastisc­h. Zuletzt haben Smartphone­s die Funktion als Ikone der Massen übernommen. Sie verbinden sich in einem handgeknüp­ften Teppich mit der Pietà, also mit Trauer und Empathie, und in einer Bodeninsta­llation in der Säulenhall­e mit Erotik. Dazu heißt es heute meist nur „Gefällt mir“. Bis 2. 4.

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Die Autobahn als alles antreibend­er Organismus, als Sinnbild der kapitalist­ischen Ökonomie: Thomas Bayrle, „$“(1980).

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