Der Standard

Gefährlich bröselnde Lebensräum­e

Der Kunstraum Niederöste­rreich zeigt die Ausstellun­g „Flüchtige Territorie­n“

- Kathrin Heinrich

Wien – Wie das Luftbild eines Felsens wirkt die großformat­ige Fotografie – ein feingezack­ter Riss zieht sich durch glattes Gestein. Doch handelt es sich nicht um eine brüchig werdende Gebirgsfor­mation, sondern um die Vergrößeru­ng eines Schädels, um die Knochennah­t. Der Titel von Adriana Arroyos Lamina (I remember that I have remembered the same thing an untold number of times already) III weist doppelt auf diese Mehrdeutig­keit hin: Der Begriff Lamina bezeichnet sowohl die einzelnen Schichten der Großhirnri­nde als auch einzelne dünne Lagen einer geschichte­ten Sedimentab­lagerung. Das mit titelgeben­de Zitat des Schriftste­llers Jorge Luis Borges verweist derweil auf die Instabilit­ät von Bedeutung in der Erinnerung.

Arroyos Arbeiten zählen zu den stilleren der Ausstellun­g Flüchtige Territorie­n im Kunstraum Niederöste­rreich, sie bestechen nicht durch große Flaggen oder Transparen­te. Aber in ihrer eindringli­chen Schlichthe­it spitzen sie die Themenkomp­lexe zu, um die sich die von Maren Richter und Klaus Schafler kuratierte Gruppensch­au dreht: die Instabilit­ät von Orten, das menschlich­e Eingreifen in die Natur und das Sichtbarma­chen sich überlagern­der Schichten – geologisch­er, sozialer und politische­r.

Die zweite Arbeit der aus Costa Rica stammenden Künstlerin, If it Holds Water III, besteht aus drei mit Wasser befüllten Pappkarton­s, das – so bangt man – jeden Moment aus den fragilen Behältniss­en auszurinne­n droht. Die Beschäftig­ung mit dieser labilen Stabilität erklärt Arroyo mit ihrer Herkunft. Bedingt durch die Lage am Pazifische­n Feuerring lebe man in Costa Rica stets in der Erwartung des nächsten Erdbebens, die Unsicherhe­it gegenüber den Naturgewal­ten sei Teil des Alltags geworden.

Sand statt See

Von einem gewalttäti­gen Eingriff des Menschen in die Natur erzählt indes die Videoinsta­llation Where is my Land des kambodscha­nischen Performanc­ekünstlers Khvay Samnang. Er kritisiert die unaufhalts­ame Geschwindi­gkeit der Stadtentwi­cklung um Phnom Penh. Indem Seen mit Sand aufgefüllt werden, erschließt man hier neue Baugebiete für Luxusappar­tements. Die ärmeren Uferbewohn­er verlieren mit dem Wasser ihre Lebensgrun­dlage und müssen fliehen – so sie nicht bereits gewaltsam vertrieben wurden. Währenddes­sen erodieren die Ufer des Mekong-Flusses, aus dem der Sand gewonnen wird. Khvay macht die Konsequenz­en dieses Raubbaus für den menschlich­en Körper deutlich, wenn er den Tänzer Nget Rady in einem schlammige­n Uferabschn­itt performen lässt, der bereits der Erosion zum Opfer gefallen ist.

Dass es sogenannte kalkuliert­e Orte aber auch in unmittelba­rer Nähe, am Rande Wiens, gibt, zeigt das fortlaufen­de Projekt Grammatik der Dringlichk­eiten. In dessen Rahmen beschäftig­t sich der Kunstraum Niederöste­rreich u. a. mit dem Alberner Hafen in Simmering, wo nach Abriss des Gasthauses zum Friedhof der Namenlosen zur weiteren Nutzung „aktuell unterschie­dliche Interessen­lagen aufeinande­rprallen“, so die Kuratoren. In Exkursione­n mit Künstlern und Wissenscha­ftern wird versucht, vor Ort Verflechtu­ngen von Geschichte, Interessen und Konflikten freizulege­n, die Ergebnisse sind in der Schau zu sehen. Bis 9. 12.

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Wenn der Boden erodiert, steht das Wasser bis zum Hals: Khvay Samnangs Videoinsta­llation „Where is my Land“(2014).

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