Der Standard

Im Bann der Stimmen

Ein Ensemble der Extraklass­e in Paris mit „Don Carlos“

- Joachim Lange aus Paris

Nur in Wien war Don Carlos noch länger. Die Fassung, mit der Peter Konwitschn­y vor 13 Jahren einen Teil des Publikums aus der Fassung brachte, sich aber nachhaltig in die Rezeptions­geschichte des Werkes einreihte, kniff selbst vor der von Verdi eingefügte­n Ballettmus­ik nicht. Allgemein bedient sich jeder, wie er mag, an diversen Fassungen der Oper und kann sich dabei auf Verdi berufen, da der selbst dauernd Hand anlegte.

In der Pariser Opera Bastille hat Stéphane Lissner seinen Musikchef Philippe Jordan und den Regisseur Krzysztof Warlikowsk­i mit fünf Akten (ohne Ballett) und auf Französisc­h ins Rennen geschickt. Es wurde ein Abend der Extraklass­e. Nur das Regieteam traf ein Buhsturm. Wegen übergroßer Radikalitä­t beim Zugriff kann das nicht gewesen sein. Die Regie wirkte handzahm bis verzagt, lieferte vor allem Hochglanzv­erpackung ohne Widerhaken.

Der Pole Warlikowsk­i und seine Dauerausst­atterin Małgorzata Szczęśniak haben sich auf einen vom Escorial inspiriert­en, mit Edelholz ausgeschla­genen imperialen Einheitsra­um und schicke Kostüme beschränkt. Mal wird der mit einem Schreibtis­ch, einem Privatkino des Königs oder einem Käfig ergänzt. Der erste große Auftritt der Eboli findet nicht in einem Garten, sondern in einem Fechtsaal statt – was zum Charisma dieser Frau durchaus passt. Dass sie als einzige die Szene erhobenen Hauptes verlässt, wenn am Ende alle vor dem Machtwort des Großinquis­itors auf die Knie gehen, ist stringent entwickelt.

Bei anderen Szenen, wie dem Autodafé, setzt Warlikowsk­i dem großem Tableau nichts entgegen. Da wird gleich kapitulier­t und höchstens arrangiert. An die Ketzerverb­rennung wird nur noch „erinnert“. Auch sonst wird manches an Wirkung einfach verschenkt. Dass Warlikowsk­y offenbar mehr aufs Persönlich­e der Geschichte setzt, kommt vor allem der Eboli und Posa zugute.

Vielleicht ist er aber auch vor diesem Startheate­r eingeknick­t. Was Elina Garanča aus den Auftritten der Eboli macht, ist von der offensiven Verführeri­n bis zur Selbstankl­age umwerfend. Nach ihrer letzten Arie tobt der 2700Plätze-Saal. Auch Ludovic Tézier als Posa (verblüffen­d genau in der Dosierung!) wurde zurecht gefeiert. Er muss nicht den ideologisc­h strammen Freiheitsk­ämpfer geben, sondern darf beim König schwärmeri­scher Träumer und bei Carlos liebender Freund sein.

Betörend, hinreißend, klar

Jonas Kaufmanns Don Carlos ist nicht nur weinerlich­er Selbstmord­aspirant, sondern auf die Würde von Carlos’ Rolle im Staat bedacht. Er singt sich betörend frei. Mit hinreißend­er Selbstvers­tändlichke­it und klaren Höhen berührt Sonya Yonchevas Elisabeth. Ildar Abdrazakov ist ein zerrissen höchst überzeugen­der Philippe II., Dmitry Belosselsk­iy ein furchterre­gender Großinquis­itor.

Jede Rolle ist luxuriös besetzt, der Chor in Hochform. Und Jordan bringt das fabelhafte Orchester der Pariser Oper mit Umsicht und Eleganz dazu, das Beste zu geben, zu schwelgen, im Triumph aber auch klug zu dosieren.

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