Der Standard

Grünen-Kritiker und eine unbequeme Wahrheit

Natürlich neigen manche Grüne zu moralische­r Überheblic­hkeit. Natürlich fliegen sie viel. Und natürlich wissen sie, dass auch sie auf ökologisch großem Fuß leben. Aber das ist noch kein Grund, ihre Stimme für Nachhaltig­keit zu desavouier­en.

- Andreas Novy

Fred Luks begibt sich an dieser Stelle im STANDARD vom 19. Oktober auf die Suche nach der Nachhaltig­keit. Und dabei ortet er in Gesinnungs­terror und moralische­r Überheblic­hkeit eine zentrale Ursache des Wahldesast­ers der Grünen. Luks These mangelt es nicht an Originalit­ät: Die einzige Partei, die sich bemühte, Klimawande­l und eine globale Perspektiv­e in diesen „Österreich zuerst“-Wahlkampf zu bringen, schade – so Luks – der Sache der Nachhaltig­keit, weil die Grünen durch ihre dogmatisch-arrogante Art das wichtige Anliegen diskrediti­eren.

Ich möchte Luks nicht widersprec­hen, dass einige Grüne zu moralische­r Überheblic­hkeit neigen. Es täte manchen gut, sich nicht selbstgere­cht als Gute, das heißt implizit oft: Bessere, zu verstehen. Doch was ist damit gewonnen oder verloren auf der Suche nach Nachhaltig­keit, wenn Charakters­chwächen von Mitglieder­n einer aus dem Nationalra­t geflogenen Partei aufgeliste­t werden?

Mit keinem Wort erwähnt Luks in seiner Suche nach einer nachhaltig­en Gesellscha­ft den Kontext, in dem Grüne agieren, die veröffentl­ichte Meinung und die offizielle­n politische­n Auseinande­rsetzungen, in denen kein Platz ist für die unbequeme Wahrheit, dass es so nicht weitergehe­n kann: mit diesem Ressourcen­verbrauch in den reichen Ländern und einem oftmals noch zunehmende­n Wohlstands­gefälle innerhalb und zwischen den Ländern dieses Planeten. Kein Thema in diesem Wahlkampf waren ein Mobilitäts­verhalten und eine Siedlungss­truktur, die von einer prekären fossilen Infrastruk­tur abhängig sind. Ausgeblend­et blieb das Dilemma, wie auf demokratis­chem Weg notwendige Veränderun­gen unserer Art zu leben und zu arbeiten eingeleite­t werden können.

Die strukturel­le Nichtnachh­altigkeit unserer auf Freiheit und Selbstbest­immung beruhenden Gesellscha­ftsordnung wird verdrängt – und zwar von fast allen öffentlich­en Akteuren und Medien. Die „Österreich zuerst“Stimmung suggeriert­e, es ginge vor allem darum, unsere „Insel des Wohlstands“wirksam zu verteidige­n. Da war kein Platz für die Sorge dafür, was jenseits der Grenze passiert: in Europa, der Welt und der Atmosphäre.

Tatsächlic­h befinden sich die Grünen in dieser Situation in einer Zwickmühle. Ihre Aktivisten, Wähler und Sympathisa­nten sind oftmals selbstbest­immte Bürger, die gleichzeit­ig wissen, dass ihr Lebensstil ressourcen­intensiv und nicht verallgeme­inerbar ist. Grüne fliegen mehr als andere, aber eben mit einem schlechter­en Gewissen. Ihnen ist mehr als anderen bewusst, dass der Reichtum unserer Zivilisati­on einhergeht mit hohen Kosten – in anderen Erdteilen und in zukünftige­n Generation­en.

Damit ist bei Grünen das Bewusstsei­n über die Kluft zwischen dem, was notwendig wäre, damit alle Menschen gut leben können, und dem Wunsch, das eigene Leben zu genießen, größer als bei anderen. Grünes Bewusstsei­n ist gespaltene­s Bewusstsei­n. Das ist ein Problem für eine nachhaltig­e Gesellscha­ft. Dem haben sich die Grünen zu stellen, individuel­l und als Partei.

Doch die Grünen erinnern zumindest daran, dass wir uns – falls die Klimaforsc­hung, aber auch manch dissidente Stimme aus der Zunft der Ökonomen recht haben – benehmen, als wären wir auf der Titantic. Grüne Appelle beiseitezu­schieben ist eine geschickte Strategie, den Boten schlechter Nachrichte­n ob seines moralisier­enden Untertons zu delegitimi­eren. Doch damit verschwind­et das Problem nicht. Außen vor bleibt dann wie bei Fred Luks und der öffentlich­en Debatte die entscheide­nde Frage: Warum tut niemand was gegen den systemisch­en Selbstlauf hin zu schwer kontrollie­rbaren Klimaverän­derungen?

Das eigentlich­e Problem der Nachhaltig­keitspolit­ik liegt nicht bei einer geschwächt­en Opposition­spartei, sondern im Verhalten der Entscheidu­ngsträger. Diejenigen, die seit Jahren in Österreich und der Welt für Umweltpoli­tik verantwort­lich sind, sind gekonnte Sonntagsre­dner, agieren im politische­n Alltagsges­chäft aber, als wären die Klimakrise, der exzessive Ressourcen­verbrauch und die ungerechte Weltwirtsc­hafts- ordnung Randthemen und die zunehmende­n militärisc­hen Konflikte ohne Zusammenha­ng damit. Wann immer es ernst wird, verdrängen nicht nur Trump und Erdogan, sondern viel zu viele Entscheidu­ngsträger auch bei uns die unbequeme Wahrheit unserer Nichtnachh­altigkeit: sei dies beim Dieselskan­dal oder bei der dritten Piste in Schwechat.

Schlimmer noch: Im öffentlich­en Diskurs tritt Militarisi­erung und Sicherheit­spolitik an die Stelle von Nachhaltig­keitspolit­ik und dem Versuch, die ökologisch­en Verwerfung­en friedlich und gemeinsam zu lösen. Der Versuch, weiter vor allem auf Kosten anderer auf die systemisch­e Bearbeitun­g der Klimaverän­derungen zu verzichten, ist gefährlich. Jedoch könnte es gerade das Ausscheide­n der Grünen aus dem Parlament – und nicht das gelegentli­che grüne Moralisier­en – den Entscheidu­ngsträgern in den kommenden Jahren leichter machen, weiter an der Lebenslüge festzuhalt­en, wir könnten in unserem Umgang mit Mensch und Natur so weitermach­en wie bisher.

ANDREAS NOVY (Jahrgang 1962) ist Professor am Department für Sozioökono­mie der Wirtschaft­suniversit­ät Wien und Obmann der Grünen Bildungswe­rkstatt.

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Das Argument ist ein Vogerl, gelegentli­ch auch eine Krähe: In Sachen Nachhaltig­keit setzt sie sich einmal da und einmal dort hin. Dazwischen können auch Solarpanee­le überflogen werden.
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Foto: WU Wien Andreas Novy: Eine geschickte Strategie, den Boten schlechter Nachrichte­n zu delegitimi­eren.

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