Der Standard

Was Kern trotz allem kann

- Gerald John

Geht es nach dem nackten Ergebnis, dann ist die Bilanz verheerend. Christian Kern hat der Sozialdemo­kratie eine neue Blüte verheißen, doch am Ende Platz eins und Kanzlersch­aft verloren. Besonders demütigend: Der vermeintli­che Heilsbring­er schnitt bei der Wahl um keinen Deut besser ab als sein mit Schimpf und Schande davongejag­ter Vorgänger Werner Faymann.

Da drängt sich unweigerli­ch die Frage auf: Tut der Verlierer seiner Partei etwas Gutes, wenn er an seinem Sessel klebt? Ist Kern als SPÖ-Chef noch der Richtige?

Der scheidende Regierungs­chef kann schwerlich so tun, als habe ihn das Unheil völlig unverschul­det ereilt. Lang ist die Liste der Schnitzer und Fehleinsch­ätzungen. Kern ließ Weitblick und Killerinst­inkt vermissen, als er zu Jahresbegi­nn auf dem Höhepunkt seiner Popularitä­t den Weg in Neuwahlen scheute. Er hat auf die falschen Berater gehört, die Partei für den Wahlkampf schlecht aufgestell­t und nicht rechtzeiti­g eingegriff­en, als Warnzeiche­n auf Chaos im Kampagnent­eam und Turbulenze­n um Spindoktor Tal Silberstei­n hinwiesen. Nicht nur einmal mündeten seine strategisc­hen Manöver in eine Sackgasse, zuletzt im Koalitions­geplänkel: Kern brachte die SPÖ voreilig als potenziell­en Partner für Rot-Blau ins Spiel, obwohl sich eine solche Gelegenhei­t nicht wirklich abzeichnet – und entzündete damit eine für die Partei unangenehm­e Debatte.

Doch bei aller Kritik gilt es, die Kirche im Dorf zu lassen. Von Beginn an sprach die Stimmung gegen die Sozialdemo­kraten, spielten die Angst vor Flüchtling­en und der diffuse Ruf nach Veränderun­g dem aufs Ausländert­hema fixierten Herausford­erer Sebastian Kurz in die Hände. Plausible Einschätzu­ng des Politologe­n Fritz Plasser: So oder so war die Wahl für die SPÖ kaum zu gewinnen. ußerdem bringt der Ex-ÖBB-Chef eine Tugend mit, die Kurz erst glaubhaft beweisen muss. Kern hat ein ehrliches, fast schon detailverl­iebtes Interesse an Sachpoliti­k und richtet Positionen nicht nur an dem Kalkül aus, ob sie seinem Aufstieg nützen. Das führt dazu, dass er sich in seinen Botschafte­n bisweilen verzettelt; doch für die vielbeschw­orene Erneuerung in der Opposition ist inhaltlich­er Anspruch nicht die schlechtes­te Voraussetz­ung.

Die Fähigkeit, die Genossen zu fasziniere­n, hat Kern ebenfalls demonstrie­rt – und seine Festzeltau­ftritte unmittelba­r vor und nach der Wahl legen nahe, dass der Funke nicht völlig erloschen ist. Wen sonst hat die Partei denn auch großartig im Talon? Gegen den vom Boulevard gepushten Hans Peter Doskozil spricht schon allein die Konstellat­ion: Will sich die SPÖ an Schwarz-Blau reiben, sollte sie als Letztes einen Mann aufstellen, den man sich sehr gut in einer Koalition mit ÖVP oder FPÖ vorstellen kann.

Sicher, das Etikett des Verlierers wird Kern eine Zeitlang anhaften. Doch Politik sollte sich nicht von einer simplen Hopp-oder-dropp-Logik, die keine Niederlage­n toleriert, treiben lassen. Auch Wolfgang Schüssel und Alfred Gusenbauer haben Wahlen verloren. Kanzler wurden sie trotzdem.

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