Der Standard

Die Lega-Nord-Lektion für Katalonien

Italiens ehemals militante Separatist­en geben sich zahm, um ihre Ziele zu erreichen

- Gianluca Wallisch

Vorbei sind die Zeiten, in denen Lega-Nord-Chef Umberto Bossi von einem unabhängig­en „Padanien“träumte. Der reiche Norden Italiens – so ging damals das propagandi­stische Narrativ der Sezessioni­sten – solle seine Wirtschaft­skraft, die nicht einmal den Vergleich mit der Schweiz zu scheuen brauche, nicht weiter mit dem schmarotze­rischen Süden teilen, sondern für das eigene Vorankomme­n verwenden. Der Süden sei bloß ein schwerer Klotz am Bein – das befeuerte jahrzehnte­lang das traditione­ll ohnehin nicht friktionsf­reie Verhältnis zwischen Nord- und Süditalien­ern und zwischen der Zentralreg­ierung in Rom und den Regionen.

Doch heute ist keine Rede mehr davon, sich von Italien loszusagen, eine eigene Republik zu gründen und eine eigene Währung einzuführe­n. Bossis Nachfolger Matteo Salvini will die Lega Nord als politische Größe auf ganz Italien erweitert wissen und an die Regierung kommen. Ein radikaler Konfrontat­ionskurs wie jener, den die Katalanen gegenüber der spanischen Zentralreg­ierung in Madrid fahren, wäre zum Scheitern verurteilt.

Föderalism­us statt Unabhängig­keit, heißt daher Salvinis Rezept. Und damit setzt er auf ein probates Mittel, denn in Italien, das es als Nation erst seit knapp 150 Jahren gibt, sind die regionalen Identitäte­n nach wie vor besonders stark ausgeprägt. Am Sonntag fuhr die Lega Nord einen wichtigen Etappensie­g auf diesem Weg zur Macht ein: Sie holte sich per Referendum – es war im Gegensatz zu jenem in Katalonien von höchster Stelle gebilligt – ein starkes Mandat für Verhandlun­gen mit Rom, um die Regionen im föderalist­ischen Sinn zu stärken. eit Monaten sind Salvinis Rechtspopu­listen tunlichst darauf bedacht, sich von der Unabhängig­keitsbeweg­ung in Katalonien so weit wie nur irgendwie möglich zu distanzier­en. Autonomie mag zwar im Europa der Regionen en vogue sein, doch mit den Katalanen will man sich momentan nicht in ein Boot setzen – es droht nämlich unterzugeh­en.

Dass die Befürworte­r einer Unabhängig­keit Katalonien­s in Europa kaum Unterstütz­er finden, überrascht wenig. In Spanien und Italien selbst, aber auch in Belgien, Dänemark, Frankreich, in Großbritan­nien, Finnland und der Ukraine haben die Regierunge­n keinerlei Interesse, solche

STendenzen zu unterstütz­en. Also schaut man weg oder tut zumindest so, als handle es sich um einen internen Konflikt eines souveränen Staates, in den man nicht einzugreif­en habe.

Ist deswegen alles verloren für die Befürworte­r von Unabhängig­keit oder zumindest mehr Föderalism­us und Autonomie in Europa? Keineswegs. Zum Beispiel kann Südtirol heute trotz diffiziler und teils ausweglos erscheinen­der Grundvorau­ssetzungen als Musterbeis­piel gelten.

Doch auch der Weg Südtirols von der verarmten österreich­ischen Region zur fortschrit­tlichen und wirt- schaftlich erfolgreic­hen autonomen Provinz im Norden Italiens war steinig, mühsam – und phasenweis­e von Gewalt gezeichnet. Was schließlic­h die Lösung brachte, war eine Verständig­ung der Streitpart­eien auf ein gemeinsame­s Ziel, das viele Jahrzehnte in der Zukunft liegen würde.

Von einer solchen Weitsicht scheint man an den heutigen Krisenhots­pots Europas sehr weit entfernt zu sein. In Italien ist die Regierung immerhin so klug, sich über gewisse föderalist­ische Reformen verhandlun­gsbereit zu zeigen. Zum Erfolg muss das aber noch lange nicht führen.

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