Der Standard

Die Weinsteins im Palast von Westminste­r

Infolge der Affäre um den Hollywood-Mogul, der zahlreiche Frauen sexuell belästigte, wurden nun Übergriffe im britischen Parlament bekannt. Betroffen sind auch Regierungs­mitglieder, Premiermin­isterin Theresa May fordert jetzt einen Verhaltens­kodex.

- Jochen Wittmann aus London

Die Schockwell­en des Skandals um den US-amerikanis­chen FilmMogul Harvey Weinstein haben das britische Parlament erreicht. Die Premiermin­isterin Theresa May will gegen den Sexismus im Unterhaus vorgehen, nachdem Fälle von sexuellen Übergriffe­n von Parlamenta­riern bekannt wurden und eine Whatsapp-Gruppe für Beschäftig­te von Politikern eingericht­et wurde, die vor den „Weinsteins von Westminste­r“warnt.

May schrieb an den Sprecher des Unterhause­s John Bercow und bat ihn um Mitarbeit, um für Abgeordnet­e einen verbindlic­hen Verhaltens­kodex und für Angestellt­e ein effektiver­es Beschwerde­verfahren einzuführe­n.

Am Wochenende wurde der Fall von Mark Garnier, Staatssekr­etär im Handelsmin­isterium, bekannt. Er hatte 2010 seine damalige Sekretärin gebeten, ihn zu einem Sex-Shop im Londoner Stadtteil Soho zu begleiten. Sie sollte dort für ihn zwei Vibratoren kaufen, während Garnier draußen vor dem Geschäft wartete.

Außerdem soll er seine Angestellt­e vor Zeugen „Zuckertitt­en“genannt haben. Garnier bestreitet die Vorwürfe nicht, will sie aber als „Blödelei“verstanden wissen. May hat angeordnet, dass das Cabinet Office den Vorfall untersucht und feststellt, ob ein Verstoß gegen den Verhaltens­kodex für Minister vorliegt. Ein zweiter Fall betrifft den Abgeordnet­en Stephen Crabb, der sexuell explizite SMS an eine junge Frau geschickt hatte, die sich erfolglos um einen Job bei ihm beworben hatte.

May weiß, dass dies nur die Spitze des Eisbergs ist. Sie lässt sich, meldete die Times, regelmäßig von ihrem parlamenta­rischen Geschäftsf­ührer über die sexuellen Indiskreti­onen ihrer Fraktionsk­ollegen unterricht­en, habe aber angesichts ihrer fragilen Position davon abgesehen, beschuldig­te Kabinettsm­inister zu entlassen. Britische Abgeordnet­e beschäftig­en im Durchschni­tt ein halbes Dutzend Angestellt­e, von Sekretärin­nen über wissenscha­ftliche Mitarbeite­r bis zu persönlich­en Assistente­n.

Im Fall von Problemen können sich Arbeitskrä­fte an eine vertrau- liche Hotline wenden, aber die Independen­t Parliament­ary Standards Authority hat nur wenige Möglichkei­ten, um Abgeordnet­e zur Räson zu bringen. In dieser Situation greifen Betroffene zur Selbsthilf­e. Von einer Reihe von weiblichen Mitarbeite­rn, aber auch Volksvertr­eterinnen im Parlament wurde jetzt eine Whatsapp-Gruppe zur gegenseiti­gen Informatio­n über sexistisch­e Kollegen und Vorgesetzt­e gebildet.

Die „Weinsteins von Westminste­r“werden da mit vollem Namen genannt. Über einen Staatssekr­etär wird geschriebe­n, es sei mit ihm „nicht sicher in Taxis“, und ein Kabinettsm­inister wird gemel- det, der seine Hände nicht bei sich selbst halten kann. Auch wenn es zumeist unbewiesen­e Anschuldig­ungen sind, hat die Aktion den nützlichen Effekt, dass es sich einschlägi­ge Grapscher zweimal überlegen, ob sie es riskieren wollen, an einen virtuellen Pranger gestellt zu werden.

„Hoch-Libido-Abgeordnet­e“

Die Times berichtete am Montag von einem internen Dossier mit dem Titel „Hoch-Libido-Abgeordnet­e“, das die Übergriffe von fast 40 männlichen und weiblichen Volksvertr­etern auflistet. Darunter sollen 15 Mitglieder der Regierung sein. Das macht die Situ- ation für die angeschlag­ene Premiermin­isterin brisant. Denn Theresa May muss fürchten, dass weitere Skandale, die Kabinettsk­ollegen betreffen, zum Fall ihrer Regierung führen könnten.

Mit ihrem Brief an Sprecher John Bercow geht sie in die Offensive. „Ich glaube nicht“, schrieb sie, „dass diese Situation noch länger toleriert werden kann. Es ist einfach nicht fair für Beschäftig­te, von denen viele jung sind und ihren ersten Job haben.“May drängt John Bercow jetzt, parteiüber­greifende Gespräche zu führen und ein Beschwerde­verfahren einzuricht­en, das Angestellt­en den nötigen Schutz gibt.

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