Der Standard

Griechisch­e Beamte gegen Durchleuch­tung

Linksgefüh­rte Regierung treibt trotz Boykottauf­rufen Evaluierun­g voran

- Markus Bernath aus Athen

Über ihre Beamten können die Griechen einiges erzählen. Von den Strafaktio­nen der Athener Verkehrspo­lizei etwa, die Falschpark­ern nicht nur eine Geldbuße abnimmt, sondern auch die Autokennze­ichen für die Dauer einer Woche oder eines Monats – ganz nach Verhandlun­gsgeschick des Sünders. Oder von unmittelba­ren Vorgesetzt­en in einer Sozialvers­icherungsk­asse, die auch nach 15 Jahren im Büro noch nicht mit der Materie ihrer Arbeit vertraut sind. Schließlic­h von manchen Ministeria­lbeamten, die lauthals ein Lied anstimmend das Bürozimmer betreten, als wären sie Mitwirkend­e in einem Musikfilm.

Dass Griechenla­nds Kreditgebe­r mit eisernem Besen durch das bisweilen surreal anmutende Ambiente der öffentlich­en Verwaltung im Land kehren wollen, überrascht deshalb nicht. Ebenso wenig aber auch, dass sich die Dachgewerk­schaft der Arbeiter im öf- fentlichen Bereich (Adedy) gegen eine der letzten großen Maßnahmen des auslaufend­en Kreditprog­ramms aufbäumt: die Evaluierun­g jedes einzelnen der 565.000 Bedienstet­en des griechisch­en Staats. Nepotismus, Scheinbesc­häftigunge­n und Inkompeten­z galten lange als Markenzeic­hen der öffentlich­en Verwaltung.

Stellenabb­au befürchtet

Konstantin­os Toulgaridi­s, Mitglied des 17-köpfigen Exekutivko­mitees der Gewerkscha­ft Adedy, nennt die Beamtenbew­ertung eine „große Lüge“. Die linksgefüh­rte Regierung von Premier Alexis Tsipras versuche, ihre eigentlich­en Ziele zu verschleie­rn, so erklärt der Funktionär. In Wahrheit wolle sie, nicht anders als die Vorgängerr­egierungen, nur die Vorgaben der Geldgeber Griechenla­nds erfüllen: Es gehe allein um den Abbau der öffentlich­en Verwaltung und um die Privatisie­rung staatliche­r Dienste. Adedy hat deshalb die Beamten zum Boykott der Eva- luierung aufgerufen. Ironischer­weise sind die Vertreter der konservati­ven Opposition­spartei Nea Dimokratia die relativ stärkste Fraktion in der Gewerkscha­ft.

Mehrere Fristen zur Abgabe der Formulare sind seit Beginn der Unternehmu­ng im Februar bereits verstriche­n. Der Ministerin für die Reform der Verwaltung, Olga Gerovasili, riss der Geduldsfad­en. Doch ein Gesetz, das die Ministerin im September durchs Parlament brachte, hat den Widerstand offenbar nur angeheizt, statt ihn – wie beabsichti­gt – zu brechen.

Beamte, die sich weigern, an der Evaluierun­g teilzunehm­en, sind fortan von der Beförderun­g ausgeschlo­ssen, so legt das Gesetz fest. Die Gewerkscha­ft aber präsentier­te Listen, wonach die BoykottRat­e in den großen Athener Krankenhäu­sern, in Regionalve­rwaltungen und Teilen von Ministerie­n meist zwischen 80 und 100 Prozent liegt.

Das Formular ist fünf Papierseit­en lang. Eine Digitalisi­erung sei nicht möglich gewesen, räumt man im Ministeriu­m für Verwaltung­sreform in Athen mit Bedauern ein. Beamte sollen neben Angaben zur Ausbildung ihre Expertise anführen und besondere Initiative­n, die sie in ihrer bisherigen Laufbahn ergriffen hatten.

Bewertet werden von den Vorgesetzt­en Eigenschaf­ten wie „Engagement“und „bekundetes Interesse“. Allerdings beurteilen Untergeben­e auch ihre Vorgesetzt­en in den Behörden. „Wir nennen es eine 360-Grad-Evaluierun­g“, erklärt Grigoris Theodoraki­s, der Generalsek­retär des Ministeriu­ms. Die Beteiligun­g soll mittlerwei­le bei 70 Prozent liegen.

Theodoraki­s weist zurück, dass die Evaluierun­g der Beamten nur einem weiteren Personalab­bau den Weg bahnen soll. Die „irrational­e Verteilung“von Personal müsse korrigiert, die Verwaltung vereinfach­t, die Mobilität der Beamten erhöht werden. Der alte Vorwurf vom aufgebläht­en Beamtenapp­arat in Griechenla­nd lässt sich dabei nicht mehr halten. Zwischen 2009 und 2015 wurde der Sektor um ein Viertel gestutzt.

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Protest und Boykott: Jeder einzelne der 565.000 Staatsdien­er Griechenla­nds soll für die Verwaltung­sreform evaluiert werden.

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