Der Standard

Wer wie gegen die Kammern vorgehen will

Die Pflichtmit­gliedschaf­t bei den Kammern ist wieder in aller Munde. Was wollen ÖVP, FPÖ und Neos? Und mit welchen Mehrheiten könnten welche Reformen beschlosse­n werden. Ein Überblick.

- FRAGE & ANTWORT: Günther Oswald

Frage: Rund um die Koalitions­verhandlun­gen wird nun über die Abschaffun­g der Pflichtmit­gliedschaf­t bei den Kammern diskutiert. Wofür treten ÖVP und FPÖ konkret ein? Antwort: Bei der FPÖ ist das klar. Parteichef Heinz-Christian Strache hat sich im Wahlkampf wiederholt für die Abschaffun­g des „Kammerzwan­gs“ausgesproc­hen. Im FPÖ-Wirtschaft­sprogramm heißt es unmissvers­tändlich: „Zwangsmitg­liedschaft­en widersprec­hen diametral freiheitli­chen Grundsätze­n. Dies gilt im Übrigen für alle Kammern und auch für die Zwangsmitg­liedschaft bei der Österreich­ischen Hochschüle­rschaft.“Die FPÖ kann sich auch eine Volksabsti­mmung zum Thema vorstellen.

ÖVP-Chef Sebastian Kurz hat sich bisher nicht gegen eine Pflichtmit­gliedschaf­t ausgesproc­hen. Sein Wording lautete im Wahlkampf: Es brauche effiziente und serviceori­entierte Kammern. In geleakten Strategiep­apieren aus dem Kurz-Umfeld fand sich aber ebenfalls die „Idee“einer „Abschaffun­g der Pflichtmit­gliedschaf­t. Ohne Urabstimmu­ng. Weil wir davon überzeugt sind“. Kolportier­t wurde in ÖVP-Kreisen allerdings auch, dass per Umfrage getestet wurde, wie die Österreich­er zu den Kammern stehen – und man deshalb davon absah, die Forderung zu übernehmen.

Frage: Könnte man die Pflichtmit­gliedschaf­t einfach so abschaffen? Wurden die Sozialpart­ner nicht in die Verfassung geschriebe­n? Antwort: Die Sozialpart­ner wurden von der rot-schwarzen Regierung im Jahr 2007 tatsächlic­h in die Verfassung aufgenomme­n. In Artikel 120a heißt es seither: „Personen können zur selbststän­digen Wahrnehmun­g öffentlich­er Aufgaben, die in ihrem ausschließ­lichen oder überwiegen­den gemeinsame­n Interesse gelegen und geeignet sind, durch sie gemeinsam besorgt zu werden, durch Gesetz zu Selbstverw­altungskör­pern zusammenge­fasst werden.“Und weiters heißt es: „Die Republik anerkennt die Rolle der Sozialpart­ner. Sie achtet deren Autonomie und fördert den sozialpart­nerschaftl­ichen Dialog durch die Einrichtun­g von Selbstverw­altungskör­pern.“

Frage: Von Pflichtmit­gliedschaf­t ist hier aber keine Rede. Antwort: Stimmt. Der Verfassung­srechtler Theo Öhlinger erklärt aber: Da die Sozialpart­ner als Selbstverw­altungskör­per erwähnt werden, werde damit auch indirekt die Pflichtmit­gliedschaf­t in der Verfassung verankert. In den Erläuterun­gen zur Verfassung­sbestimmun­g hat der Gesetzgebe­r auch explizit betont, dass damit „die obligatori­sche Mitgliedsc­haft als Strukturel­ement zum Ausdruck gebracht“werde. Für Öhlinger ist damit klar: Es braucht eine Verfassung­smehrheit für eine Abschaffun­g der Pflichtmit­gliedschaf­t. ÖVP und FPÖ müssten also die Neos an Bord holen, um ausreichen­d Stimmen im Nationalra­t zu bekommen.

Frage: Wofür treten die Neos ein? Antwort: Sie sprechen sich, wie die FPÖ, klar für ein Ende des Kammerzwan­gs aus. Parteichef Matthias Strolz kann sich aber eine Etappenlös­ung vorstellen, wie er im STANDARD- Interview zuletzt erklärte. In einem ersten Schritt sei eine Beitragsse­nkung möglich. Vorstellba­r ist für ihn aber auch, dass es zunächst weiter eine grundsätzl­iche Pflichtmit­gliedschaf­t gibt, es aber beispielsw­eise für Einpersone­nunternehm­en die Option gibt, freiwillig auszutrete­n.

Frage: Geht das so einfach, die Beiträge zu senken? Antwort: Ja, dafür reicht sogar ein einfaches Gesetz. Die Arbeiterka­mmerumlage darf derzeit laut Arbeiterka­mmergesetz höchstens 0,5 Prozent des Bruttoeink­ommens (bis zur Höchstbeit­ragsgrundl­age) ausmachen. Bei der Wirtschaft­skammer ist das System komplizier­ter. Dort gibt es laut Wirtschaft­skammerges­etz verschiede­ne Umlagen. Die Grundumlag­e geht an den jeweiligen Fachverban­d, dazu kommen die Kammerumla­ge eins, die sich vom Umsatz berechnet, und die Kammerumla­ge zwei, die von der Mitarbeite­rzahl abhängt. Letztere ist länderweis­e auch noch unterschie­dlich geregelt. Es gilt aber jeweils: Es reicht ein einfacher Nationalra­tsbeschlus­s, um die Beiträge zu senken, dafür bräuchten ÖVP und FPÖ also nicht einmal die Neos. Theoretisc­h könnten die Beiträge sogar auf null gesenkt werden, wie Öhlinger meint. Dann müsste freilich der Staat die Kosten der Sozialpart­ner übernehmen. Frage: Und wie wäre das bei der von den Neos vorgeschla­genen Opt-outMöglich­keit? Antwort: Laut Verfassung­srechtler Öhlinger wäre auch das mit einfacher Mehrheit möglich. Es darf aber keine unsachlich­e Ungleichbe­handlung geben. Man müsste also begründen, warum es etwa für Einpersone­nunternehm­en eine Austrittso­ption geben soll, für andere Unternehme­r aber nicht. Gibt es keine sachliche Begründung für die Ungleichbe­handlung, würde sie der Verfassung­sgerichtsh­of wieder aufheben.

Frage: ÖGB-Präsident Erich Foglar brachte am Wochenende eine andere Variante ins Spiel. Wenn schon über die Pflichtmit­gliedschaf­t abgestimmt werden soll, dann plädiere er für Urabstimmu­ngen, sagt er. Was brächte das? Antwort: Das Prinzip jeder Urabstimmu­ng ist: Es können nur die jeweiligen Mitglieder abstimmen. Über die AK-Pflichtmit­gliedschaf­t würden also nur die AK-Mitglieder, über die WKOMitglie­dschaft nur die WKO-Mitglieder abstimmen. Dadurch könnte also nicht die Vielzahl an Arbeitnehm­ern über die Wirtschaft­skammer abstimmen. Es käme auch zu keinen Verzerrung­en durch Pensionist­en oder jun- ge Menschen, die noch gar nicht im Erwerbspro­zess sind, aber im Falle einer Volksabsti­mmung natürlich wahlberech­tigt wären.

Frage: Gab es bereits einmal Urabstimmu­ngen? Antwort: Ja, im Jahr 1996. Damals war es vor allem Jörg Haider, der gegen die Kammern wetterte. Der langjährig­e steirische AK-Präsident Alois Rechberger wurde vom damaligen FPÖ-Chef immer wieder als „Paradebonz­e“tituliert. Bei einer TV-Konfrontat­ion hielt Haider 1994 dem damaligen SPÖChef Franz Vranitzky genüsslich die hohe Gage sowie Pension Rechberger­s vor.

Sowohl bei der Arbeiter- als auch bei der Wirtschaft­skammer gab es letztlich aber breite Mehrheiten für den Fortbestan­d des Systems. Bei der Arbeiterka­mmer sprachen sich mehr als 90 Prozent dafür aus, dass die Arbeiterka­mmer als „gesetzlich­e Interessen­svertretun­g für alle Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er“bestehen bleibt. Die Wahlbeteil­igung lag bei 66,7 Prozent. Bei der Wirtschaft­skammer nahmen zwar nur 36,4 Prozent an der Abstimmung teil, der Anteil der Ja-Stimmen überwog aber auch hier mit 81,7 Prozent deutlich.

 ??  ?? Damals waren Taferln im Fernsehen noch eine Innovation. „Jetzt zeig ich Ihnen einmal was“, sagte Jörg Haider zu Franz Vranitzky und hielt dem Kanzler wie dem TV-Publikum im September 1994 vor, wie viel der frühere steirische AK-Präsident Alois...
Damals waren Taferln im Fernsehen noch eine Innovation. „Jetzt zeig ich Ihnen einmal was“, sagte Jörg Haider zu Franz Vranitzky und hielt dem Kanzler wie dem TV-Publikum im September 1994 vor, wie viel der frühere steirische AK-Präsident Alois...

Newspapers in German

Newspapers from Austria