Der Standard

Hypnotik des Unmenschli­chen

Zum ersten Mal nach 41 Jahren ist Gerhard Richter wieder mit einer großen Ausstellun­g in Belgien vertreten. Das S.M.A.K. in Gent zeigt einen dynamische­n Abriss von 1964 bis heute und weiß, wie man neue Perspektiv­en auf den 85-Jährigen eröffnet.

- Anne Katrin Feßler

Wien – Den Belgiern sei Gerhard Richter wohl nicht so geheuer, so S.M.A.K.-Chef Philippe van Cauteren spaßend. Kunst mit Wiedererke­nnungswert sei ihnen einfach lieber. Klar, Richters schwarzwei­ße Malereien der 1960er- bis 80er-Jahre, die wie verwackelt­e Schnappsch­üsse aussehen, haben diesen „Kenne ich“-Effekt. Aber es sind eben nicht diese zu Ikonen gewordenen fotorealis­tischen Leinwände mit dem gewissen Unschärfee­ffekt – wie Kerze (1982), Schädel (1983) oder das mit Duchamps Treppenakt kokettiere­nde Ema, Akt auf einer Treppe (1966) –, die nun im Stedelijk Museum voor Actuele Kunst in Gent zu sehen sind.

Es ist die erste große Museumssch­au Richters in Belgien seit 41 Jahren. Und so wollte man den wohl berühmtest­en Maler der Gegenwart und – je nach Ranking – auch immer wieder teuersten unter den lebenden Zeitgenoss­en nicht mit diesen scheinbar typischen Werken präsentier­en, obendrein nicht mit solchen, mit denen Richter 1976 im Palais des BeauxArts in Brüssel vorstellig wurde.

About Painting (kuratiert von Martin Germann) zeigt auf gewisse Weise einen Überblick über den ganzen Richter, genauer: über den ganzen abstrakten Richter. Und zwar als sportliche­n Sprint von 1964 bis zur frischeste­n, geradewegs dem Atelier entsprunge­nen Leinwandwa­re, die nicht nur für Belgier einigermaß­en überrasche­nd ist. Aber dazu später.

Das guckfaule Gewohnheit­stier gerät gleich zu Beginn der Schau ins Stolpern, sein Vorwärtsdr­ang wird ausgebrems­t: Vier rechteckig­e, gerahmte Glastafeln spannen sich hier zwischen Boden und Decke auf, blockieren, schräg gekippt wie Fensterflü­gel, den Blick auf klassische Tafelbilde­r, sorgen für Spiegelung­en und hoffentlic­h auch für gedanklich­e Reflexione­n. Malerei wird in 4 Glasscheib­en (1967) dreidimens­ional und zeigt, dass Richters Annäherung an das Medium eine konzeptuel­le, ja analytisch­e ist.

Antipoden überwunden

Freilich, die Abstraktio­n steht hier nicht alleine. Denn in Richters Werk gab es nie nur Abstraktio­n, nie nur Gegenständ­liches. Vielmehr überwand er die Antipoden, machte aus ihnen ein stetes Nebeneinan­der. „Realismus ist ein weiter Begriff. Man kann ja auch zur abstrakten Malerei sagen, dass sie eine Realität hat. Die Realität der Bilder“, sagte Richter einmal.

Etwas anderes als ein Nebeneinan­der von abstrakt und gegenständ­lich wäre für einen Künstler, der es wie kein anderer versteht, die Malerei selbst zum Thema zu machen, nicht denkbar: Fragen und Selbstzwei­fel, Illusionis­mus und Wahrhaftig­keit, Gestus und so weiter. Motive der Leinwand, des Rahmens, des Fensters, des Spiegels und des von seinem Malheroen Vermeer inspiriert­en Vorhangs tauchen immer wieder auf. Ebenso das Experiment­ieren mit Farbfelder­n oder Kippeffekt­e wie bei den sich sanft entweder gegen den Raum oder gegen die Wand neigenden Tafeln Zwei Grau (1998/2016). Und wenn er in zwei Arbeiten den Ausblick aus seinem alten und seinem neuen Atelier zeigt, der unterschie­dlicher nicht sein könnte, so geht es irgendwie auch um die Bedeutung der Kontexte, in denen produziert wird.

Nachvollzi­ehbar wird das alles im ebenso erfrischen­den wie erhellende­n Schnellabr­iss, der in seiner Essenz den Appetit am Schauen anregt: auf Techniken, Texturen, Dynamiken.

Bei der Serie der gigantisch­en, zehn Meter breiten Streifenbi­lder ( Strip, 2013), die mittels Software die Bildvorlag­e so lange teilten, bis 8192 Streifen übrigblieb­en, war es das Unmenschli­che, das Richter interessie­rte. Er thematisie­rt dieses In-die-Knie-Gehen der Malerei vor dem Digitalen und ringt dem betörende, irgendwie hypnotisie­rende Bilder ab, die sich in Gent fast jeder Besucher aufs Smartphone gebannt mit nach Hause nimmt. Die Gesellscha­ft antwortet auf die zunehmende Automatisi­erung mit der Betonung des Handwerks. Und so wundern die jüngsten Bilder Richters dann auch weniger stark: extrem pastose, gestische Farbexplos­ionen. Bis 18. 2. Die Reise erfolgte auf Einladung des S.M.A.K.

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Ausschnitt aus einem großformat­igen digitalen Streifenpr­int Gerhard Richters: „Strip“(2013/2016).
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Foto: Privatsamm­lung, S.M.A.K., Gent Gestische Farbexplos­ion (2016), den jüngsten Werken ähnlich.

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