Der Standard

Blauer Bumerang

Mit mehr direkter Demokratie würde sich eine ÖVP-FPÖ-Regierung selbst schaden

- Eric Frey

Wenn Kritiker von Türkis-Blau vor den Konsequenz­en dieser Koalitions­form warnen, geht es ihnen meist auch um die Ausweitung der direkten Demokratie. Während die ÖVP dazu nur allgemeine Floskeln von sich gibt, hat die FPÖ ganz konkrete Pläne vorgelegt, wie nach dem Vorbild der Schweiz kleine Bürgerinit­iativen zu bundesweit­en Volksbegeh­ren und bei entspreche­nder Zustimmung schließlic­h zu verbindlic­hen Volksabsti­mmungen mit Gesetzeskr­aft führen sollen.

In der Sache haben diese Mahner – wie etwa der Schriftste­ller Robert Menasse am Sonntagabe­nd in der ORFSendung Im Zentrum – eindeutig recht. Regelmäßig stattfinde­nde Referenden mögen zwar in der Schweiz funktionie­ren, in Ländern wie Österreich aber würden sie die repräsenta­tive Demokratie aushebeln und die Suche nach vernünftig­en Kompromiss­en im Parlament bzw. in Koalitione­n durch polemische und polarisier­ende öffentlich­e Debatten mit oft unvorteilh­aften Ergebnisse­n ersetzen.

Mit einer EU-Mitgliedsc­haft ist das Schweizer Modell überhaupt nicht vereinbar. Denn was würde die Zustimmung der österreich­ischen Vertreter zu einer mit den anderen Staaten abgestimmt­en Vorlage noch zählen, wenn sie jederzeit per Referendum wieder aufgehoben werden kann?

Dennoch sind die Warnungen übertriebe­n: Die Chancen, dass Österreich tatsächlic­h zur Regierung per Referendum wechselt, sind äußerst gering. Das liegt nicht nur daran, dass die ÖVP wenig Interesse am Schweizer Modell zeigt, auch für die FPÖ hat es objektiv gesehen seinen Reiz verloren, seit sie in die Regierung drängt. In autoritäre­n Staaten mögen die Mächtigen das Instrument des Referendum­s nutzen, um ihre Politik durchzuset­zen – aber selbst in Ungarn und der Türkei hat es zuletzt diesen Zweck kaum erfüllt. In einer funktionie­renden Demokratie aber machen Dauerrefer­enden der Regierung bloß die Arbeit schwer. Das kann weder im Interesse von Sebastian Kurz noch von Heinz-Christian Strache sein.

Ein massiver Ausbau der direkten Demokratie wäre ein Geschenk an die Opposition; SPÖ und Liste Pilz könnten gegen unpopuläre türkis-blaue Reformen Volksabsti­mmungen organisier­en und sie in vielen Fällen stoppen. Die größten Nutznießer wären überhaupt die Grünen: Sie könnten – nach dem Rauswurf aus dem Nationalra­t – mit geschickt gewählten Themen für Volksbegeh­ren stärker Einfluss auf Österreich­s Politik nehmen, als sie es als Kleinparte­i je schafften.

Warum hält die FPÖ dennoch an ihrer Forderung fest? Dass sie schon jetzt für die Zeit nach Türkis-Blau plant, in der sie wieder in der Opposition sitzt, ist wenig wahrschein­lich. Eher ist sie hier Opfer ihres eigenen Populismus: Der Ruf nach direkter Demokratie klingt so gut, dass man es immer wieder gern wiederholt. Aber deshalb sollte man auch die Aussagen von FPÖ-Granden, wonach dies eine Koalitions­bedingung sei, nicht allzu ernst nehmen. Denn auch die blaue Parteispit­ze weiß, dass die direkte Demokratie bei den Motiven ihrer Wähler ganz unten rangiert. Es ist schließlic­h ein Kopf- und kein Bauchthema.

Gut möglich, dass die FPÖ das Thema still und heimlich fallen lässt in der Hoffnung, dass es niemand merkt. Für das Land wäre dies wohl das Beste. Doch wenn Rechtspopu­listen später einmal wieder lautstark nach direkter Demokratie schreien, sollte man sie daran erinnern, dass sie die eine Chance dazu nicht genutzt haben.

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