Der Standard

Nicht alle schutzbedü­rftig

- Günther Oswald

Ohne Pflichtmit­gliedschaf­t keine flächendec­kenden Kollektivv­erträge. So lautet das zentrale Argument der Sozialpart­ner gegen die Abschaffun­g der Kammerpfli­chtmitglie­dschaft. Kollektivv­erträge sind natürlich enorm wichtig für den sozialen Frieden. Dank der Kompromiss­e von Arbeitgebe­rn und -nehmern haben sich die Löhne in Österreich – anders als etwa in Griechenla­nd – mehr oder weniger synchron zu Wachstum und Produktivi­tät entwickelt. Trotzdem sollte es erlaubt sein zu fragen, ob das Ziel einer hohen KV-Durchdring­ung nicht auch anders erreicht werden kann. Auch jetzt gibt es schließlic­h gesetzlich­e Möglichkei­ten, um dort, wo die Arbeitgebe­r nicht verhandeln wollen, Mindeststa­ndards durchsetze­n zu können.

Nicht jeder, der Zwangsmitg­liedschaft­en kritisch hinterfrag­t, muss also gleich ein Vertreter der Fraktion neoliberal­er Zerstörer sein. Möglich wäre auch ein differenzi­erter Blick. Unselbstst­ändig arbeiten muss grundsätzl­ich jeder, der nicht reich geboren wird. Bei schlechtve­rdienenden oder ungebildet­en Arbeitskrä­ften kann eine Pflichtmit­gliedschaf­t daher ein wichtiger Beitrag dazu sein, dass niemand ausgebeute­t werden kann.

Der Schritt in die Selbststän­digkeit ist in aller Regel aber ein bewusster. Hier wiegt das Schutzargu­ment weniger schwer. Wer ein Unternehme­n gründen kann, der sollte auch in der Lage sein zu entscheide­n, ob für ihn oder sie die Angebote einer Interessen­vertretung Sinn ergeben.

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