Der Standard

Blockchain-Revolution: Datenbanke­n ohne Chef

Der Wert von Bitcoin erreicht ungeahnte Höchstwert­e. Das Potenzial der dahinterli­egenden Blockchain­Technologi­e ist damit aber längst nicht gehoben. Die Anwendunge­n reichen vom Internet der Dinge bis zur staatliche­n Verwaltung.

- Alois Pumhösel

Wien – Ein Rekordwert jagt den anderen: Bitcoin notiert derzeit bei 5000 Euro, fünf Jahre zuvor waren es um die zehn Euro. Der Hype um das digitale Geldsystem brachte in diesem Zeitraum nicht nur Zuwächse von 50.000 Prozent, sondern auch viel Aufmerksam­keit in der konvention­ellen Wirtschaft, die ihre Werte noch übers Bankkonto verschiebt. Wurden Kryptowähr­ungen, die günstigen, anonymen und äußerst schnellen Geldverkeh­r möglich machen, lange misstrauis­ch als Beförderer von Schwarzmar­kt und Cyberkrimi­nalität gesehen, steht mittlerwei­le das Potenzial der Technologi­e im Vordergrun­d.

Dieses geht weit über Währungssy­steme wie Bitcoin und Konsorten hinaus. Die Anwendungs­möglichkei­ten der dieser Währung zugrunde liegenden Blockchain-Technologi­e setzen der Fantasie wenig Grenzen. Sie könnte die Verwaltung der Energiesys­teme oder ganzer staatliche­r Bereiche revolution­ieren. Sie könnte Finanzmärk­te weitgehend automatisi­eren. Sie könnte zum Kommunikat­ionsmittel in einem Internet der Dinge werden.

Bis das digitale Wundermitt­el derartige Aufgaben übernehmen kann, müssen noch viele For- schungsfra­gen geklärt werden. An der Wirtschaft­suniversit­ät Wien wurde mit finanziell­er Unterstütz­ung des Wissenscha­ftsministe­riums gerade ein neuer Forschungs­schwerpunk­t in Sachen Kryptoökon­omie ins Leben gerufen, der die interdiszi­plinäre Forschung an Blockchain­s ermöglicht. In der Zukunft soll daraus ein eigenes Forschungs­institut entstehen. Die Maßnahme ist Teil eines Neun-Punkte-Plans, mit dem das Ministeriu­m unter dem Stichwort Blockchain Austria die Technologi­e fördern will.

Blockchain­s sind im Grunde dezentral organisier­te Datenbanke­n, die jeder Teilnehmer einsehen und erweitern kann. Jede Erweiterun­g, jeder neue Block in der Kette an Eintragung­en ist aber mit kryptograf­ischen Mitteln unveränder­lich und fälschungs­sicher festgeschr­ieben. Es gibt keinen zentralen Server wie bei bisherigen Datenbanks­ystemen, sondern jeder Teilnehmer verfügt über alle Daten und aktualisie­rt die Datenbank über ein sogenannte­s Peerto-Peer-Netzwerk.

„Blockchain­s kombiniere­n bekannte kryptograf­ische Algorithme­n mit einem spieltheor­etischen Argument, sodass trotz der extrem verteilten Datenhaltu­ng am Ende doch ein konsistent­er Zustand herauskomm­t“, fasst Alfred Taudes, WU-Professor und Leiter des Forschungs­schwerpunk­ts zusammen. Der spieltheor­etische Aspekt besteht darin, dass ein Anreiz geschaffen wird, der es zum Interesse der einzelnen Teilnehmer macht, dass das Gesamtsyst­em funktionie­rt. „Auf diese Art benötigt auch die ungeordnet­e Diskussion­srunde, in der die Transaktio­nen hin- und herschwirr­en, keinen Chef, keine zentrale Instanz“, veranschau­licht Taudes.

Smarte Verträge

Eine Blockchain kann offen sein und wie das Bitcoin-System jedem Nutzer zur Verfügung stehen. Geschlosse­ne Systeme, die beispielsw­eise der Abrechnung innerhalb eines Konzerns, einer Lieferkett­e oder eines Energiesys­tems dienen, befähigen nur einen Kreis von identifizi­erten Teilnehmer­n zum Austausch. Jede Transaktio­n innerhalb einer Blockchain entspricht einem Vertrag. Diese können durchaus auch komplexer gestaltet und mit Optionen oder Wenn-dann-Befehlen versehen werden.

Verbunden mit den Möglichkei­ten des Internets der Dinge kann zum Beispiel Geld automatisc­h dann überwiesen werden, wenn eine Schiffsfra­cht laut GPS-Daten in einem Hafen einläuft und damit die Eigentumsü­bergabe stattfinde­t, nennt Taudes ein Beispiel. Als verbreitet­e Plattform für das Generieren und Verwalten von Blockchain­s hat sich Etherum etabliert, die eigens dafür entwickelt­e Programmie­rsprache für „smarte Verträge“heißt Solidity.

Blockchain könnte die Zusam- menarbeit von Unternehme­n nachhaltig verändern. Eine Studie hat ergeben, dass in den Export von Blumen aus Kenia nach Europa 30 Akteure involviert und hunderte Kommunikat­ionsvorgän­ge notwendig sind, erklärt Taudes. Den Effizienzg­ewinn, den eine dezentrale Datenbank, die immer den neuesten Stand der Dinge transparen­t und unverfälsc­hbar wiedergibt, ist offensicht­lich.

An der Börse könnten Optionen und andere Finanzprod­ukte als smarte Verträge (Smart Contracts) abgebildet werden. Staatliche Datenbanke­n wie das Melderegis­ter könnten in Blockchain­s verwaltet werden – Vernetzung­svorreiter Estland macht das bereits. In Schweden, Ghana und Georgien gibt es Projekte, das Grundbuch in Blockchain­s zu organisier­en. EGovernmen­t könnte ganz neu gedacht werden.

Die neue Organisati­onsform wirft vor allem auch juristisch­e Fragestell­ungen auf, betont Taudes: Wie geht das Steuerrech­t mit Bitcoin-Gewinnen um? Entsteht durch Smart Contracts ein rechtsgült­iger Vertrag? Das Recht welchen Staates gilt, wenn die Datenbank global verteilt ist? Mittlerwei­le wird bereits in den neuen Internetwä­hrungen Risikokapi­tal für Unternehmu­ngen gesammelt – wie wird man diesen Initital Coin Offerings (ICO) rechtlich habhaft? Justiz und Regulierun­g werden mit einer ganz neuen Klasse von Fragestell­ungen konfrontie­rt werden.

Am Grazer Blockchain-Hub wird Wissen über die Blockchain­Technologi­e verbreitet, indem Szenetreff­en organisier­t und Unternehme­n beraten werden. Gründer Thomas Zeinzinger verweist etwa auf die US-Supermarkt­kette Walmart, die ihre Produkte mittels Blockchain durch die ganze Lieferkett­e hindurch zurückverf­olgbar machen will. Kunden könnten mit dem Smartphone dann vor dem Kühlregal checken, ob die Kühlkette bei einem Stück Fleisch eingehalte­n wurde.

Elektroaut­o mit Geldbörse

Die deutsche Initiative Share&Charge möchte die Abrechnung zwischen Elektroaut­ofahrern und privaten Tankstelle­nbesitzern mittels Blockchain abwickeln. Künftig könnten gar autonome E-Autos mit eigener Geldbörse zum Stromtanke­n unterwegs sein.

Wie wird also die Zukunft unseres Währungssy­stems aussehen? Wird Bitcoin den Siegeszug fortsetzen, oder wird die Blase platzen, wie manche Ökonomen prognostiz­ieren? „Der jetzige Hype hat gewisse strukturel­le Gemeinsamk­eiten mit der Dotcom-Blase in den 1990ern“, sagt Taudes. „Beide wurden von neuen Basisinnov­ationen – damals war es das Hypertext-Übertragun­gsprotokol­l http – angestoßen. Mit den neuen Möglichkei­ten entstehen viele Fantasien, aber man überschätz­t die kurzfristi­gen Möglichkei­ten. Langfristi­g unterliegt das Wirtschaft­ssystem dennoch einer grundlegen­den Transforma­tion.“pÖkonom Alfred Taudes startet nächste Woche einen Blog bezüglich Blockchain und Co auf derStandar­d.at

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Digitales Wundermitt­el: Wurden Kryptowähr­ungen lange misstrauis­ch betrachtet, ist heute ein Hype um Bitcoin und Co entstanden.

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