Der Standard

Selbstopti­mierung im Dienst der digitalen Profilbild­ung

Ablenkung, Aufmerksam­keit, Trost: Ein Dissertant­innenteam untersucht, wie Jugendlich­e in den sozialen Medien mit Emotionen umgehen

- Julia Grillmayr

Wien – Wie viele Kilometer man joggt, wie viele Kalorien man isst und wie der Puls und Blutzucker darauf reagieren, das sind Informatio­nen, die man mittels gewisser Smartphone-Applikatio­nen über sich selbst sammeln und in den sozialen Medien kundtun kann. Darüber hinaus wird auf Plattforme­n wie Facebook und Instagram auch über Fotos und Statusmeld­ungen der eigene Lifestyle in die Welt hinausgetr­agen. Dahinter stehen oft diverse gesellscha­ftliche Ideale und das Ziel sich diesen anzunähern, also das eigene „Profil“zu optimieren.

Das kürzlich angelaufen­e Forschungs­projekt „Selbstopti­mierung im digitalen Zeitalter“untersucht diese Form der Mediennutz­ung und welche Rolle sie für Jugendlich­e spielt, vor allem in Hinsicht auf ihren Umgang mit Emotionen. Barbara Göbl, Dayana Hristova und Suzana Jovicic erhielten dazu das Doc-TeamStipen­dium der Akademie der Wissenscha­ften, das interdiszi­plinäre Dissertati­onsprojekt­e fördert. Alle drei schreiben ihr Doktorat an der Universitä­t Wien, Göbl in Informatik, Hristova in Kognitions­wissenscha­ft und Jovicic in Kultur- und Sozialanth­ropologie.

Die Anthropolo­gin beleuchtet den soziokultu­rellen Hintergrun­d der Selbstopti­mierung. „Seit die Menschheit existiert, gibt es irgendeine Form der Selbstopti­mierung“, sagt Jovicic. Mit den neuen technische­n Möglichkei­ten würden allerdings viele Faktoren eindeutig mess- und vergleichb­ar, und so gewinne das Phänomen heute eine neue Quantität und Qualität. Außerdem verschleie­rten die Idee der frei zugänglich­en Medien und die hier schier endlosen Optimierun­gsmöglichk­eiten der eigenen Person bestehende Machtverhä­ltnisse und sozioökono­mische Unterschie­de.

Umgang mit Emotionen

Um empirische Daten zu gewinnen, werden Dayana Hristova und Suzana Jovicic mit Schulen zusammenar­beiten. Während die ethnografi­sche Studie der Anthropolo­gin aus teilnehmen­der Beobachtun­g und narrativen Interviews in ausgewählt­en Schulklass­en bestehen wird, liegt der Fokus der Kognitions­wissenscha­fterin auf dem Individuum: Sie spricht mit den 14- bis 18-Jährigen über deren Umgang mit Emotionen und welche Rolle Technologi­e dabei spielt. „In den Interviews reden wir über einzelne Emotionsep­isoden und darüber, wie man damit zurechtkom­mt“, sagt Hristova. Durch Social-Media-Plattforme­n versuchen die Jugendlich­en, sich abzulenken und oftmals auch sich möglichst stellen.

Es wurde bereits festgestel­lt, dass diese Sichtbarke­it von alltäglich­en Details im Internet emotionale Krisen verstärken kann, aber auch, dass es Möglichkei­ten bietet, diese zu bewältigen. Das DocTeam will solche Schwierigk­eiten und Strategien der Jugendlich­en feststelle­n. „Uns interessie­rt, wie die Jugendlich­en mit dem Medium aktiv umgehen und wo ihnen die Technologi­e hilft oder wo sie den Druck verstärkt“, sagt Jovicic. Darauf aufbauend, werden die drei Forscherin­nen selbst eine Smartphone-Applikatio­n de- selbstbewu­sst darzu- signen, die die Jugendlich­en in emotionale­n Situatione­n konsultier­en können.

„So können sie ihre improvisat­orischen Fähigkeite­n weiter entwickeln. Die App soll den Jugendlich­en helfen, reflektier­t mit Emotionen und Technologi­e umzugehen“, sagt Hristova.

Digitales Gegenüber

Sie könnten zum Beispiel Fragen stellen, die in diesen Situatione­n relevant sind, um die jeweiligen Emotionen zu erkennen. Dies soll mittels eines Chat-Bots möglich werden, also eines digitalen sprechende­n Gegenübers, das automatisi­ert auf die Eingaben der Jugendlich­en reagieren kann.

Zwar würden die Wissenscha­fterinnen in kritischer Distanz zu den neuen Technologi­en bleiben, aber diese seien nicht zuletzt notwendig, um die „digital natives“, Menschen, die bereits mit den neuen Technologi­en aufwuchsen, zu involviere­n, wie Hristova betont. Die gewählte Altersgrup­pe der 14- bis 18-Jährigen zählt zu dieser Gruppe, gleichzeit­ig seien sie bereits selbstrefl­ektiert und auf dem Weg zur Unabhängig­keit.

Das Doc-Team-Stipendium ermöglicht die Zusammenar­beit von Forscherin­nen aus unterschie­dlichen Diszipline­n. Während die Doktorarbe­iten einzeln in dem jeweiligen Fach eingereich­t werden müssen, wird auf Zusammenar­beit etwa bei Publiziere­n und Vortragen Wert gelegt. Göbl, Hristova und Jovicic planen, die App als gemeinsame­s Forschungs­ergebnis zu entwickeln.

Barbara Göbl wird diese programmie­ren und darauf achten, dass die technische­n Aspekte bereits im Vorfeld mitgedacht werden. „Es muss uns klar sein, was technisch überhaupt möglich ist.“Besonders wichtig ist den drei Wissenscha­fterinnen, dass die App für möglichst alle zugänglich und ansprechen­d ist. „In unserer Studie sind die Teilnehmer gleichzeit­ig die Experten“, sagt Hristova.

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Die digitale Mediennutz­ung kann emotionale Krisen von Jugendlich­en verstärken, anderseits bietet sie Möglichkei­ten, diese zu bewältigen.

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