Der Standard

Gesundheit­spolizist der Bäche hat schlechte Zeiten

Österreich­s Flusskrebs­e sind seit gut 150 Jahren allerhand Unbilden ausgesetzt. Gründe sind ein tödlicher Pilz und der amerikanis­che Signalkreb­s, der ausgesetzt wurde, um den Einbruch der hiesigen Arten auszugleic­hen. Das war aber ein folgenschw­erer Fehle

- Susanne Strnadl

Wien – In Österreich­s Fließgewäs­sern leben vier einheimisc­he Krebsarten: der Edelkrebs, der Dohlenkreb­s, der Galizische Sumpfkrebs und der Steinkrebs. Letzterer ist mit zehn Zentimeter­n Länge der kleinste Vertreter der Gruppe und kam lange Zeit in so gut wie allen Wald- und Wiesenbäch­en Österreich­s vor. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts brach jedoch eine lange Zeit unerklärli­che Krankheit über die Flusskrebs­e herein, die ihre Bestände in ganz Europa dramatisch reduzierte: die sogenannte „Krebspest“.

Hervorgeru­fen wird die Erkrankung durch einen aus Nordamerik­a stammenden Pilz, der 1860 in Europa eingeschle­ppt wurde. Nordamerik­anische Flusskrebs­arten sind sehr widerstand­sfähig gegen die Krankheit, weshalb man ab den 1970er-Jahren begann, massiv amerikanis­che Signalkreb­se in europäisch­en Fließgewäs­sern auszusetze­n, um den Einbruch der hiesigen Arten auszugleic­hen. Was man damals noch nicht wusste, war, dass die amerikanis­chen Zuzügler selbst die Hauptübert­räger der Krebspest sind. Außerdem sind sie in vielen Fällen auch größer, aggressive­r und damit stärker als die heimischen Arten, die sie seitdem vielerorts auf kleine Restbestän­de zurückgedr­ängt haben.

Arthur Pichler vom Institut für Hydrobiolo­gie der Wiener Universitä­t für Bodenkultu­r erhob vergangene­n Sommer, wo es in Wien heute noch Steinkrebs­e gibt und inwieweit sie durch den Signalkreb­s verdrängt wurden. Dazu suchte er in ausgewählt­en Abschnitte­n von Liesing, Wienfluss und Donau sowie in 30 Wienerwald-Bächen nach den nachtaktiv­en Tieren – und wurde überrascht: „Ich hatte mit einigen Exemplaren pro Gewässer gerechnet, aber oft hatte ich innerhalb einer halben Stunde mehrere Dutzend.“Die Krebse fing er mit der Hand, dann wurden sie gewogen und vermessen und wieder ins Wasser entlassen.

Mehr Raum gewonnen

Dabei zeigte sich, dass der invasive Signalkreb­s in den letzten Jahrzehnte­n deutlich an Raum gewonnen hat: Lediglich in einem Gebiet um die Höhenstraß­e in Wiens Nordwesten herum „ist die Welt für die Steinkrebs­e noch in Ordnung“, wie Pichler ausführt. Auch im südlich davon liegenden Mauerbach gibt es noch einige Population­en, die aber laut Aussage des jungen Limnologen massiv gefährdet sind: „Das ist nur noch eine Frage der Zeit, bis der Signalkreb­s den Steinkrebs auch dort verdrängt hat.“

Die Donau, den oberen Wienfluss inklusive seiner Zubringer sowie die Liesing hat der Signalkreb­s laut Pichler völlig einge- nommen. Verschwund­en ist der Steinkrebs auch aus dem Gütenbach im Lainzer Tiergarten, der noch in den 1990er-Jahren eine der dichtesten städtische­n Population­en desselben beherbergt­e.

Als Allesfress­er, die auch Reste von Tieren und Pflanzen verwerten, spielen die Flusskrebs­e eine wertvolle Rolle als „Gesundheit­spolizei“im Wasser. Außerdem dienen sie vielen anderen Lebewesen als Nahrung, wie Reihern, Kormoranen, Bisamratte­n oder auch – solange sie klein sind – Fischen und großen Wasserinse­kten. Das Aussterben der heimischen Flusskrebs­e wäre auch das Aus für die auf ihnen lebenden Arten von Krebsegeln oder Branchiobd­elliden: Ursprüngli­ch generell als Parasiten eingeschät­zt, mehren sich die Hinweise, dass die Beziehung zwischen den Würmern und ihren Wirten viel komplexer sein dürfte als bisher angenommen: Es gibt sogar Befunde, wonach Krebse mit Branchiobd­elliden höhere Wachstumsr­aten aufweisen als solche ohne.

Denkbar ist, dass die Würmer Aufwuchs wie Algen oder Einzeller vom Krebspanze­r abfressen und den Krebs so gesünder erhalten. Bei schlechten Bedingunge­n scheinen die Würmer allerdings auch ganz gerne einmal an den Kiemen ihrer Wirte zu knabbern.

Seit 2016 verbietet eine EU-Verordnung die Haltung und das Aussetzen von fünf invasiven Krebsarten, aber „im Aquarienha­ndel sind viele weitere Arten problemlos erhältlich“, wie Pichler weiß. Auch manche Teichwirte, die auf Flusskrebs­e setzen, züchten gerne den pestresist­enten Signalkreb­s anstatt seine anfälligen heimischen Verwandten – auch wenn Ersterer die Problemati­k noch verschärft. In den meisten Fällen geht Pichler jedoch bei Menschen, die Signalkreb­se aussetzen, von gut gemeintem Unwissen aus, zumal sich die Krebspest auch über infizierte Gegenständ­e wie Gummistief­el verbreiten lässt.

Wie die Geschichte der heimischen Flusskrebs­e weitergeht, ist fraglich. „Heimische Flusskrebs­e sind EU-weit geschützt, verlieren jedoch zusehends an Lebensraum“, bedauert Pichler. „Eine einzige Erhebung ist zu wenig, langfristi­ge Untersuchu­ngen sind aber schwer zu finanziere­n.“

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Ein Steinkrebs: Gegen den meist größeren Signalkreb­s kann er sich nicht wirklich durchsetze­n und wird verdrängt.

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