Der Standard

Die Magie ist immer stärker

Anna Vasof untersucht in ihrer Forschung Prozesse kinematogr­afischer Illusion

- Julia Grillmayr

Eine digitale Weckuhr klemmt im Schraubsto­ck einer Werkbank. Anna Vasof tritt mit einer Feile heran und beginnt an den Ecken des Weckers zu feilen, immer mehr, bis die Elektronik offen liegt und schließlic­h das ganze Gerät zu Staub zerfallen ist; das Video der Künstlerin zeigt diesen Vorgang im Zeitraffer, denn er dauert Stunden. Der Staub der Weckuhr wird schließlic­h in eine neue Form gefüllt: Er rieselt durch eine Sanduhr. Dieses Stück heißt Anachronis­m.

Für diese und ähnliche Arbeiten erhielt die 1985 geborene Medienküns­tlerin Anna Vasof kürzlich den Niederoest­erreich-Preis für Performanc­e H13. Nach einem Architektu­rstudium an der Polytechni­schen Universitä­t in Thessalien in Griechenla­nd kam Vasof nach Wien, um Transmedia­le Kunst an der Universitä­t für Angewandte Kunst zu studieren, wo sie auch ihr Doktorat in Künstleris­cher Forschung macht.

„Obwohl viele Menschen mit ‚Forschung‘ nur die Naturwisse­nschaften meinen, ich bin sicher, dass das, was ich mache, Forschung ist“, sagt Vasof. Künstleris­che Forschung ist für sie, Hypothesen und Fragen aufzustell­en und diese mit Kunst zu beantworte­n. „Man ist in der Kunst freier assoziativ zu arbeiten“, erklärt sie. In einer Zeit, in der Wissenscha­ft immer spezifisch­er wird, wachse das Bedürfnis nach diesem freieren Zugang.

Das Forschungs­feld von Vasofs Dissertati­on ist Kinematogr­afie und Animation. Sie beschäftig­t sich damit, wie durch das Aneinander­reihen von Bildern die Illusion von Bewegung entsteht. Bekanntlic­h nimmt unser Auge ab einer gewissen Geschwindi­gkeit aufeinande­rfolgender Bilder diese nicht mehr getrennt voneinande­r wahr, sondern fügt sie zu einer Bewegungsi­llusion zusammen.

Anna Vasof interessie­rt sich nun weniger für die notwendige Geschwindi­gkeit der Bildabfolg­e, sondern für den Stop-Mechanismu­s, der dieser Illusion zugrunde liegt. „Mich interessie­rt, was zwi- schen den Frames passiert“, erklärt sie. Um dies zu erforschen, suchte Vasof vorerst nach Möglichkei­ten, die Illusion in der Alltagswah­rnehmung, teilweise auch ohne Kamera, zu erzeugen.

Das gelingt etwa beim Beobachten von fallenden Dominostei­nen, die unterschie­dliche Zeichnunge­n haben. Eindrucksv­oll ist auch Vasofs Installati­on, die eine Lichtquell­e durch Papierbech­er pendeln lässt, deren Böden minutiös in unterschie­dlichen Formen ausgeschni­tten sind. Die Projektion, die dadurch an der Wand entsteht, erzeugt, wenn das Pendel schnell schwingt, eine Bewegungsi­llusion.

Die Künstlerin und Forscherin interessie­rt sich also einerseits für die Frage, wie der Mensch sieht. „Dies ist auch naturwisse­nschaftlic­h nicht restlos geklärt“, sagt Vasof. Anderersei­ts ging es auch darum, neue Narrative für einen künstleris­chen Ausdruck zu finden.

Mit ihren „Non-Stop-Stop-Motion“-Techniken würde man immer zwei Bilder gleichzeit­ig wahrnehmen. Der Mechanismu­s hinter der Illusion bleibt sichtbar. „Es ist, wie wenn ein Magier einen Zaubertric­k zeigt und gleichzeit­ig erklärt, wie dieser funktionie­rt – und er funktionie­rt nach wie vor“, erklärt Vasof. Das Wissen um die Magie mache diese also nicht kaputt. „Die Magie ist immer stärker, das ist auch meine Hoffnung für die Menschheit.“

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Die Medienküns­tlerin Anna Vasof will Fragen mit Kunst beantworte­n.

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