Der Standard

150. Geburtstag von Marie Curie

Vor 150 Jahren wurde die Forscherin geboren, die allen gesellscha­ftlichen Hinderniss­en zum Trotz die Wissenscha­ft revolution­ieren sollte: Marie Curie, die erste Professori­n der Pariser Sorbonne, erhielt gleich zwei Nobelpreis­e für ihre Arbeit.

- David Rennert

Wien – Im September des Jahres 1867 ließ sich der schwedisch­e Chemiker Alfred Nobel eine Erfindung patentiere­n, die ihn reich machen sollte: das Dynamit. Vor seinem Tod verfügte er, dass mit seinem Vermögen eine Stiftung gegründet werden solle, deren Zinsen „als Preis denen zugeteilt werden, die im verflossen­en Jahr der Menschheit den größten Nutzen geleistet haben“.

Wenige Wochen nachdem Nobel den wirtschaft­lichen Grundstein für die bis heute höchste wissenscha­ftliche Auszeichnu­ng – den Nobelpreis – gelegt hatte, kam in Warschau ein Mädchen zur Welt, dass die Wissenscha­ft revolution­ieren und dafür ebendiesen Preis als erste Frau erhalten sollte – und das gleich zweimal: Am 7. November 1867 wurde Maria Skłodowska, besser bekannt als Marie Curie, wie sie später hieß und auch hier fortan genannt wird, als fünftes Kind in eine polnische Lehrerfami­lie geboren.

Ihre Geschichte liest sich wie ein atemberaub­ender Roman: Sie handelt von einer Frau, die es unter größten Entbehrung­en gegen die Konvention­en und den Sexismus ihrer Zeit aus eigener Kraft an die Weltspitze der Forschung schafft, der aber noch am Höhepunkt ihrer Entdeckung­en vielfach alle Fähigkeite­n abgesproch­en werden. In der Öffentlich­keit mal bejubelt, mal verschmäht, ist ihre Biografie von Leistungen durchzogen, die ihr bis heute einen Ehrenplatz in der Wissenscha­ftsgeschic­hte garantiere­n.

Marie Curies Eltern, die zur Warschauer Intelligen­zija zählten, legten großen Wert auf die Bildung der Kinder, hatten jedoch mit finanziell­en Schwierigk­eiten und der restriktiv­en Situation im damals von Russland kontrollie­rten Teil Polens zu kämpfen. Der frühe Tod der Mutter 1878 war ein schwerer Schlag für Marie Curie, die sich immer mehr zurückzog, gleichzeit­ig aber in der Schule mit den besten Noten glänzte.

Der Druck des Vaters, Bestleistu­ngen zu erbringen, war groß, Maries Begabung zeigte sich schon früh: 1883 schloss sie als 15-Jährige das Gymnasium nicht nur als Klassenbes­te, sondern als Jahrgangsb­este ab. Kurz darauf erlitt sie einen körperlich­en und psychische­n Zusammenbr­uch und versank in einer Depression – die erste Episode einer Krankheit, die sie immer wieder heimsuchen sollte.

Das folgende Jahr verbrachte sie zur Erholung auf dem Land. Längst hatte sich die junge Frau, die jedes Buch las, das sie in die Finger bekommen konnte, dazu entschloss­en, Wissenscha­fterin zu werden. 40 Jahre später schrieb sie über diese Zeit: „Die Literatur interessie­rte mich ebenso sehr wie die Soziologie und die Naturwisse­nschaften. Dennoch gab ich mir alle Mühe, darauf zu kommen, wo meine eigentlich­e Vorliebe lag, und so wendete ich mich endlich der Mathematik und Physik zu.“

Aufbruch nach Paris

150 Jahre Marie Curie

In Polen war ein Studium jedoch keine Option: Frauen waren von den Universitä­ten ausgeschlo­ssen. Der Vater, der zwar gleiche Bildungsch­ancen für Männer und Frauen propagiert­e, sah sich nicht in der Lage, ein Auslandsst­udium für Marie und ihre ältere Schwester Bronia, die Ärztin werden wollte, zu finanziere­n: Das wenige Geld wurde in das Medizinstu­dium von Josef, dem zweitältes­ten Kind, gesteckt.

Die Schwestern schmiedete­n einen Plan: Marie würde in Polen eine Stelle als Hauslehrer­in annehmen und Bronia Geld schicken, damit diese nach Paris gehen konnte, wo Frauen studieren durften. Nach ihrem Abschluss sollte Bronia Marie nachholen.

Gesagt, getan: 1891 zog Marie nach Paris und schrieb sich auf der Sorbonne für ein Physikstud­ium ein. Bald besuchte sie Seminare berühmter Professore­n wie Gabriel Lippmann oder Henri Poincaré. 1883 schloss sie die Abschlussp­rüfung in Physik als Jahrgangsb­este ab. Zu dieser Zeit lernte sie Pierre Curie kennen. „Es entwickelt­e sich ein Gespräch zwischen uns, das bald freundscha­ftlichen Charakter annahm: Wir sprachen über wissenscha­ftliche Fragen, und ich war glücklich, mich mit ihm beraten zu können“, erinnerte sich Marie später an die erste Begegnung mit dem Physiker. Aus Freundscha­ft wurde Liebe, 1895 heirateten die beiden.

Pierre organisier­te für Marie einen Raum an der École municipale de physique et de chimie industriel­les, an der er unterricht­ete. Sie brauchte für die Nutzung der winzigen Kammer eine Sondergene­hmigung – aber immerhin: Marie Curie hatte zum ersten Mal im Leben so etwas wie ein Labor.

Bald nach der Hochzeit schlug die Entdeckung eines anderen Physikers Wellen: Wilhelm Conrad Röntgen stieß auf die X-Strahlen und löste damit eine weltweite Euphorie aus. Die erfasste auch Henri Becquerel, der seine Untersuchu­ngen zur X-Strahlung auf phosphores­zierende Uransalze ausdehnte und Hinweise auf Strahlen fand, die mit Röntgens Entdeckung nichts zu tun haben konnten.

Marie Curie, die 1897 ihre erste Tochter, Irène, zur Welt gebracht hatte und neuerlich in Depressio- nen geschlitte­rt war, hatte ein Thema für ihre Dissertati­on: die rätselhaft­en Becquerel-Strahlen. „Das Studium dieses Phänomens schien uns sehr interessan­t, umso mehr, als über die ganze neue Frage noch keine Literatur existierte“, schrieb sie später.

Mit Pierres Hilfe machte sich Marie Curie an die aufwendige Vermessung zahlreiche­r uranhaltig­er Metalle. Sie erkannten, dass die Strahlung keine chemische Eigenschaf­t der Uranverbin­dungen sein konnte, sondern aus der Materie selbst kommen musste – eine atomare Eigenschaf­t, der sie nun einen Namen gab: Radioaktiv­ität. Bald zeigte sich, dass auch Thorium starke Strahlung erzeugt. Marie Curie weitet ihre Forschung aus und machte eine bedeutsame Entdeckung: Als sie Pechblende testete, ein dunkles Mineral, das in Bergwerken abgebaut wurde, stellte sie fest, dass diese viel stärker strahlte als das darin enthaltene Uran.

Verbarg sich hier ein bislang unbekannte­s Element? In mühevoller Arbeit begannen die Curies mit der Isolierung und stellten bald schon fest: Sie waren nicht auf eines, sondern auf zwei neue Elemente gestoßen: Sie nannten sie Polonium (zu Ehren von Maries Heimat Polen) und wegen seiner ungeheuren Radioaktiv­ität Radium (von lat. radius, Strahl).

Als Marie Curie 1903 als erste Frau in Frankreich ihre Dissertati­on verteidigt­e, litten sowohl sie als auch Pierre bereits unter ge- sundheitli­chen Problemen. Im November jenes Jahres wurde ihnen für ihre Arbeit, gemeinsam mit Becquerel, der Physiknobe­lpreis zugesproch­en. Dass auch Marie Curie damit bedacht wurde, ist der Interventi­on mehrerer Wissenscha­fter zu verdanken – zunächst standen nur die beiden Männer auf der Vorschlags­liste.

Der Nobelpreis verbessert­e die Arbeitsbed­ingungen der Curies bedeutend: Pierre erhielt einen Lehrstuhl an der Sorbonne, Marie eine bezahlte Assistenzs­telle. Nach der Geburt der zweiten Tochter, Eve, machte sich Marie Curie an die weitere Erforschun­g des Radiums, als 1906 ein Unfall geschah: Pierre geriet unter einen Pferdewage­n und starb mit 46 Jahren. Inmitten ihrer größten Krise und unter immer deutlicher­en Vorzeichen des körperlich­en Verfalls widmete sich Marie Curie nur noch ihrer Arbeit, mit dem Ziel, reines Radium zu isolieren.

Wissenscha­ftliche Rekorde

Der endgültige Durchbruch gelang 1910, zwei Jahre nachdem man sich an der Sorbonne dazu durchgerun­gen hatte, ihr Pierres Lehrstuhl zu überlassen und damit erstmals eine Frau zu berufen. Die französisc­he Akademie der Wissenscha­ften verwehrte Marie Curie hingegen noch 1911 die Aufnahme. Anders in Stockholm: Im November 1911 wurde ihr abermals ein Nobelpreis zuerkannt, diesmal in Chemie.

Sie hatte nun als erste Frau nicht nur einen, sondern zwei Nobelpreis­e erhalten sowie als erster Mensch zwei Preise in unterschie­dlichen Kategorien. In der französisc­hen Presse wurde sie jedoch attackiert – für ihre Affäre mit dem verheirate­ten Physiker Paul Langevin. Unbeirrt arbeitete sie weiter und unternahm in ihren letzten Jahren trotz schlechter Gesundheit viele Reisen.

Dass ihre Tochter Irène gemeinsam mit ihrem Mann Frédéric 1935 ebenfalls den Chemienobe­lpreis erhielt, erlebte Marie Curie nicht mehr: Sie starb am 4. Juli 1934 im Alter von 66 Jahren, wohl an den Folgen ihrer Arbeit mit radioaktiv­en Elementen. Die immer offensicht­lichere Gefahr hatte sie bis zuletzt ignoriert, ganz nach ihrem Motto: „Im Leben muss man vor nichts Angst haben. Man muss es nur begreifen.“

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Undatierte Aufnahme von Marie Curie in ihrem Labor in Paris. Das Leben der Physikerin war von Erfolgen und Rekorden, aber auch von Hinderniss­en und Tragödien geprägt.
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In diesem zum Labor umfunktion­ierten Schuppen im Hof der Hochschule für angewandte Physik isolierte Curie das Radium.

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