Der Standard

Heimopfer: Behinderte fallen um ihre Ansprüche um

Seit bald acht Jahren werden Fälle von Missbrauch und Misshandlu­ngen in staatliche­n sowie kirchliche­n Heimen aufgearbei­tet. Der Kampf um Entschädig­ung ist für die Opfer ein harter. Fast unmöglich ist er für jene, die nicht für sich selbst sprechen können.

- Steffen Arora

Innsbruck – Im Zuge der Aufarbeitu­ng des Heimskanda­ls werden laut Standard- Informatio­nen Opfer mit Behinderun­g bis heute vergessen, selbst wenn ihre Fälle aktenkundi­g sind. Um wahrgenomm­en zu werden, müssten sie sich selbststän­dig bei Kommission­en melden, was den meisten nicht möglich ist. Die Volksanwal­tschaft fordert, den Zugang zur Heimopferr­ente für Betroffene zu erleichter­n. (red)

Innsbruck – Es ist ein Protokoll des Grauens. Gottfried D. wurde geschlagen, bis er eine blutende Wunde hatte. Gregor W. wurde mit einer Zwangsjack­e fixiert und so mehrere Stunden auf den Balkon ausgesperr­t. Engelbert R. wurde mit Teppichklo­pfer und Hosenträge­rn verprügelt sowie minutenlan­g mit eiskaltem Wasser abgeduscht. Wolfgang M. wurde gezwungen, sein eigenes Erbrochene­s aufzuessen.

Was vor über 30 Jahren im Heim St. Josef der Barmherzig­en Schwestern in Mils passiert ist, steht beispielha­ft für die strukturel­le Gewalt, die in Behinderte­neinrichtu­ngen an der Tagesordnu­ng stand. Der Staat hatte die Betreuung kostenscho­nend an Orden ausgelager­t, die die Aufgabe wiederum mit möglichst wenig Ressourcen­aufwand übernahmen. Ein Geschäft für alle, auf der Strecke blieben die Kinder.

1980 brachte eine junge Pflegerin diese und weitere Missstände an die Öffentlich­keit. Mit dem Ergebnis, dass sie ihren Job verloren hat. Entschuldi­gt hat sich dafür bis heute niemand bei ihr. 2010, als der sogenannte Heimskanda­l losbrach, nahm die Staatsanwa­ltschaft auf Basis dieser Meldung Ermittlung­en auf. Nicht gegen den Orden, sondern gegen eine damals junge Nonne – man individual­isierte die Schuld. Die Übergriffe und Namen der Opfer sind seitdem protokolli­ert. Das Verfahren wurde jedoch wegen Verjährung eingestell­t. Der Orden selbst vermied bis heute ein Schuldeing­eständnis.

Nur ein Opfer entschädig­t

Die Geschäftsf­ührung des Heimes St. Josef lässt den Standard wissen, dass „die Opfer entspreche­nd entschädig­t wurden“. Auf Nachfrage von welcher Kommission und wie viele Opfer bleibt man die Antwort mit dem Verweis, dass sich die Mutter Oberin derzeit auf Auslandsre­ise in Peru befände, schuldig. Nachforsch­ungen bei den Kommission­en des Landes Tirol, der Diözese Innsbruck und der Klasnic-Kommission ergaben, dass genau ein Fall eines ehemaligen Bewohners aktenkundi­g ist.

Um eine Entschädig­ung zu erhalten, hätten sich die Betroffene­n selbst an eine Opferschut­zkom- mission wenden müssen. Doch die besagten Opfer sind behinderte Menschen. Die wenigsten können und konnten sich nicht selbststän­dig an eine Kommission wenden. Seitens des Vertretung­snetzwerke­s der Sachwalter heißt es, man würde das gern für die Klienten tun, wenn man diese Informatio­nen hätte. Doch der Datenschut­z verhindert das.

Der Tiroler Historiker Horst Schreiber, der den Heimskanda­l als erster wissenscha­ftlich aufgearbei­tet hat, sieht hier schwere Versäumnis­se bei Orden und Staat: „Die strukturel­len Täter, die dieses System verschulde­t haben, wurden nie zur Verantwort­ung gezogen und verleugnen bis heute jede Schuld.“Eine Aufarbeitu­ng, die sich mit dem Geschehen auseinande­rsetzt und daraus Maßnahmen ableitet, die zeitlich nach vorn wie auch hinten ausgericht­et sind, blieb aus.

Die Opfer sterben indes buchstäbli­ch weg. Die Volksanwal­tschaft, die seit der Einführung des Heimopferr­entengeset­zes (HOG) mit der Thematik betraut ist, versucht, behinderte­n Heimopfern den Zugang zur monatliche­n Rente von 300 Euro zu erleichter­n. Volksanwal­t Günther Kräuter fordert eine Reform des HOG. So müssten Behinderte davon ausgenomme­n werden, erst mit Erreichen des gesetzlich­en Pensionsal­ters anspruchsb­erechtigt zu sein. Denn viele werden aufgrund ihrer Erkrankung nicht so alt.

Seit dem Jahr 2012 hat die Volksanwal­tschaft auch das Mandat, die Behinderte­n- und Altenheime Österreich­s auf Missstände hin zu prüfen. Jahr für Jahr kommt es dabei zu gravierend­en Beanstandu­ngen, und sogar Schließung­en von Einrichtun­gen wurden verfügt. Das, so Experten, lege den Verdacht nahe, dass die Systemfehl­er, die schon vor über 30 Jahren bestanden haben, auch heute noch existieren. Denn während die Hardware, die Heime, meist tadellos seien, setze man den Sparstift erneut bei der Software, also den Angestellt­en, an.

Nur kurz hatte seine Begeisteru­ng für die Idee gehalten, den Terroriste­n von New York nach Guantánamo zu verlegen – da hatte Donald Trump schon einen neuen Einfall. „DIE TODESSTRAF­E“muss es sein, die den Jihadisten treffen soll, wie der Präsident gleich doppelt twitterte, kurz nachdem er das US-Justizsyst­em zur „Lachnummer“erklärt hatte. Davor hatte er den Demokraten Chuck Schumer für jene Green-Card-Lotterie verantwort­lich gemacht, für deren Abschaffun­g Schumer 2013 votiert hatte.

Gemeinsam haben die Aussagen eines: Sie geben wieder, was sich viele Amerikaner nach einem Anschlag wie jenem von Manhattan tatsächlic­h denken mögen. Und sie sind kontraprod­uktiv. Das gilt für die künftige Abwehr von Terrorakte­n, aber es gilt selbst für jene Ziele, die Trump vorgibt unmittelba­r zu verfolgen. Schaltet sich ein Präsident in ein laufendes Verfahren ein, kann das als Vorverurte­ilung gelten und mildernd wirken. Das müsste Trump wissen, denn genau das ist vor wenigen Tagen im Fahnenfluc­htprozess gegen Soldat Bowe Bergdahl bereits passiert.

Es ist nicht nur legitim, sondern angemessen, dass Politiker nach einem Anschlag überlegen, wie man weitere verhindert. Wem aber nur einfällt, politische Gegner für Tote verantwort­lich zu machen und zum Täter „Hängt ihn höher!“zu rufen, der hat keine Lösung. Trump stellt sich in den Verdacht, eine Tragödie, die ernste Antworten erfordert, für seine Popularitä­t zu missbrauch­en – und zur Ablenkung.

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Bis heute weigern sich Verantwort­liche, die strukturel­len Ursachen für Missbrauch und Misshandlu­ngen in Heimen aufzuarbei­ten.
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