Der Standard

Die Vermessung der Ungleichhe­it

Egal wie man zählt, die langfristi­gen Armutsredu­ktionsziel­e bleiben außer Reichweite

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Binnen zehn Jahren wollte die Regierung die Kinderarmu­t in Österreich um ein Drittel reduzieren. Dieses Ziel wurde 2006 formuliert und bis heute nicht erreicht. Dazwischen kam die Wirtschaft­skrise. Schlagzeil­en, wonach jedes fünfte Kind armuts- oder ausgrenzun­gsgefährde­t ist, gelten somit auch heute. Konkret waren 2016 rund 312.000 unter 18-Jährige betroffen.

Armut ist aber relativ. Und das sogar per Definition. Denn als armutsgefä­hrdet gilt in Österreich – sowie in der gesamten EU –, wer in einem Haushalt mit weniger als 60 Prozent des Medianeink­ommens lebt. Zum Einkommen zählen nicht nur Löhne und Gehälter, sondern sämtliche staatliche Transferle­istungen sowie Pensionen oder Alimente. Das Medianeink­ommen liegt genau in der Mitte der rund vier Millionen Haushalte. Die Hälfte verdient mehr, die andere weniger. Außerdem gelten je nach Haushaltsz­usammenset­zung verschiede­ne Schlüssel. Die Armutsgefä­hrdungssch­welle für einen Einpersone­nhaushalt lag im Vorjahr bei 1185 Euro pro Monat. Für eine Familie mit zwei Kindern unter 14 Jahren lag die Schwelle bei 2487 Euro.

Das Einkommen alleine gibt nur bedingt Auskunft über die Armutsentw­icklung. Schließlic­h rutschen Menschen auch statistisc­h ab, wenn sie mehr verdienen, die höheren Einkommens­gruppen aber noch stärker zulegen. Darum versuchen Armutsfors­cher Informatio­nen über die allgemeine Lebenssitu­ation der Menschen zu berücksich­tigen.

Telefonumf­ragen

In regelmäßig­en telefonisc­hen Umfragen erheben die Datensamml­er die materielle Situation heimischer Haushalte. Ist ein Auto oder einen Fernseher unleistbar? Ist ein jährlicher Urlaub mit der Familie nicht finanzierb­ar? Fällt es schwer, offene Rechnung fristgerec­ht zu bezahlen? Treffen vier von neun kritischen Aussagen zu, spricht man von erhebliche­r materielle­r Deprivatio­n (siehe Grafik). Das trifft auf drei Prozent der Bevölkerun­g zu.

Insgesamt leben 54.000 Kinder und Jugendlich­e in erhebliche­r materielle­r Deprivatio­n. Die positive Nachricht: Obwohl sich bei der Einkommens­armut wenig getan hat, ist der Anteil der von materielle­r Deprivatio­n betroffene­n Jugendlich­en von sechs Prozent im Jahr 2014 auf nunmehr 3,5 Prozent gesunken. Trotzdem wurde laut Statistik Austria das Ziel, die Kinderarmu­t signifikan­t zu reduzieren, nicht erreicht, wenn man die Situation vor der Wirtschaft­skrise als Richtschnu­r nehme.

Im europäisch­en Vergleich liegt der Anteil armutsgefä­hrdeter Kinder- und Jugendlich­er in Österreich unter dem Durchschni­tt. Von den positiven Spitzenrei­tern ist man aber weit entfernt. Laut dem jüngsten Sozialberi­cht der Europäisch­en Kommission war das Kinderarmu­tsrisiko in Österreich dreimal so hoch wie in Schweden. Bei der materielle­n Deprivatio­n liegt Österreich auf Platz sieben hinter Großbritan­nien. Die Lage der Flüchtling­e spiegelt sich übrigens kaum in den Daten, erklärt die Statistik Austria wider. Die Gruppe ist immer noch klein und für Telefonist­en schwer auf Deutsch zu befragen. (slp)

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