Der Standard

Putins Beauftragt­e will Folter in Tschetsche­nien aufklären

Menschenre­chtsbeauft­ragte kritisiert Ermittler für mangelnde Untersuchu­ng der Schwulenve­rfolgung

- André Ballin aus Moskau

Maxim Lapunow ist einer von denen, die es offiziell nie gegeben hat: ein Folteropfe­r der tschetsche­nischen Sicherheit­sorgane; entführt und festgehalt­en in einem Geheimgefä­ngnis in Grosny, geschlagen und erniedrigt wegen seiner Homosexual­ität. „Sie haben mich mit dem Gesicht zur Wand gestellt, und dann haben sie mich lange Zeit geschlagen, erst einer, dann der andere“, sagte der gebürtige Russe aus dem sibirische­n Omsk aus.

Lapunow berichtete, wie er mit Drohungen gezwungen wurde, einen Bekannten zu verraten, wie er Zeuge von dessen Misshandlu­ngen wurde und wie er in seiner Kellerzell­e in den elfeinhalb Tagen seiner Haft die Schreie zahlreiche­r anderer Folteropfe­r hörte. Einige davon seien mit Stromschlä­gen gequält worden, sagte er. Seine Freilassun­g verbindet er mit dem öffentlich­en Druck, den seine Familie und Bekannte nach seinem Verschwind­en entfacht hatten. Zuvor sei er jedoch gezwungen worden, Blankodoku­mente zu unterschre­iben, seine Fingerabdr­ücke wurden auf Waffen festgehalt­en, und ihm wurde befohlen zu schweigen.

Kronzeuge des Folterskan­dals

Doch Lapunow schwieg nicht. Er ist der erste öffentlich­e Zeuge in einer Affäre, die seit einem halben Jahr in den Medien kursiert, die tschetsche­nische Führung zu zahlreiche­n Dementis nötigte und sogar die politische Führung in Moskau auf den Plan rief: Russlands Präsident Wladimir Putin versprach, die „Informatio­nen oder Gerüchte“überprüfen zu lassen.

Während die Ermittlung­sbehörden anschließe­nd die Untersuchu­ngen weitgehend verschlepp­ten, entfaltete die Menschenre­chtsberate­rin des Präsidente­n, Tatjana Moskalkowa, unerwartet Aktivität. Bürgerrech­tler waren bei der Ernennung Moskalkowa­s noch skeptisch gewesen, da sie jahrelang im Innenminis­terium, also quasi auf der „Gegenseite“gearbeitet hatte. Moskalkowa jedoch ist – nach anfänglich­er Distanz zum Fall – inzwischen die einzige, die versucht, die Aufklärung der Homosexuel­lenverfolg­ung in Tschetsche­nien aktiv voranzutre­iben.

Nach der Aussage Lapunows hat Moskalkowa nun Stellung bezogen und die Behörden scharf kritisiert: „Meiner Ansicht nach gibt es allen Grund für die Einleitung eines Strafverfa­hrens und die Bereitstel­lung staatliche­n Zeugenschu­tzes für Maxim Lapunow“, sagte sie. Damit beendete sie die bisherige Informatio­nspolitik des Kremls, die Foltervorw­ürfe gegen tschetsche­nische Behörden als Gerücht abzutun.

Und Moskalkowa macht Druck: Das zuvor eingestell­te Ermittlung­sverfahren wurde auf ihr Drängen wieder aufgenomme­n. Sie forderte, die Zeugen, die Lapunow benannt habe „und die bisher wegen der mangelnden Aktivität des Ermittlers nicht gefunden wurden“, endlich aufzutreib­en. Der Umfang der Homosexuel­lenverfolg­ung in Tschetsche­nien ist bis heute unklar. Bis zu 100 Opfer, darunter auch mehrere Tote, werden genannt. Viele der Verfolgten sind aus Tschetsche­nien geflohen. Bürgerrech­tler hoffen darauf, dass trotz der Angst nun auch weitere Opfer bereit sind, öffentlich auszusagen.

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Foto: AFP / Justin Tallis Rosen als Protest für mehr Rechte von Homosexuel­len.

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