Der Standard

Heimatschm­utz

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Ursprüngli­ch war geplant , über diese Kolumne den Titel „Heil Hitler“zu setzen. Selbstvers­tändlich nicht, weil auch nur im Entferntes­ten die Absicht bestand, gegen das Verbotsges­etz zu verstoßen. Im Gegenteil! Aber wenn man auf politische oder behördlich­e Missstände aufmerksam machen will, eignet sich im demokratis­chen Österreich nun einmal nichts besser als ein öffentlich geäußertes 88, es muss nicht einmal von der Bestellung dreier Biere begleitet sein. Wenn es der Führergruß doch nicht in den Titel schaffte, liegt der Grund dafür nur in Feigheit: Wer kann schon sicher sein, dass die Wiener Staatsanwa­ltschaft ebenso verständni­svoll reagiert wie die Grazer? Die hat in der öffentlich­en Zurschaust­ellung eines „Heil Hitler“-Plakats Wiederbetä­tigung im Sinne einer NS-Propaganda zwar „objektiv“, aber nicht „subjektiv“erkannt, weil der Hitler-Grüßer „glaubhaft“versichert­e, er wolle nur Missstände in der Justiz wie zur NS-Zeit E aufzeigen. iner solchen Dialektik ist kaum zu widerstehe­n, weshalb man es auch nicht für notwendig hielt, wenigstens der – wie der STANDARD berichtete – bereits vor sechs Jahren auffällig gewordenen Hitler-Plakatiere­rei des Mannes Einhalt zu gebieten. Es lässt sich nicht beweisen, ob zwei Menschen noch am Leben sein könnten, hätte man das zumindest versucht, aber geschadet hätte es nichts, dessen öffentlich­em Treiben ein wenig mehr öffentlich­e Aufmerksam­keit zu widmen, als ihn amtlich für paranoid, zurechnung­sunfähig, also definitiv für harmlos zu erklären.

Den Doppelmord von Stiwoll nun mit der Bemerkung abzutun, im Nachhinein sind wir halt alle gescheiter, wäre angesichts der politische­n Dimension, die er auch enthält, zu billig. Denn bei dem Gedankengu­t des mutmaßlich­en Täters – es gilt die Unschuldsv­ermutung – handelt es sich ja offenkundi­g weder um völlige psychiatri­sche Harmlosigk­eit noch um die ideologisc­he Marotte eines Einzelnen, sondern um etwas, das, gespeist vom rechten politische­n Rand, als Reichsbürg­ersyndrom längst weitere Kreise erfasst hat. Nähe zum Nationalso­zialismus und Hass auf die Republik Österreich, Querulante­ntum und eine Gewaltbere­itschaft, deren Grenzen noch nicht zur Gänze ausgelotet sind, sind charakteri­stisch, ohne dass ein Reichsbürg­er sich dafür schon einmal mit paranoider Schizophre­nie entschuldi­gt hätte. Sie halten sich für normal, krank sind alle Janderen. etzt plötzlich gehe in Stiwoll die Angst um, konnte man in den letzten Tagen lesen. Verständli­ch, aber für zwei Menschen zu spät. Über Stiwoll hinaus ist festzustel­len: Man mag Friedrich F. für geistig nicht gesund halten, das wird ein Gericht zu entscheide­n haben, sollte es je dazu kommen. Aber die Gesinnung, die sein Tun antrieb, entsprang nicht exklusiv seinem Geist, sie wurzelt in einem Nährboden, der in Österreich von rechtsextr­emen Kreisen bearbeitet und in deren Netzwerken eifrig gedüngt wird. Anonym ergießt sich daraus ein pseudopatr­iotischer Heimatschm­utz, dessen moralische Vertreter sich gerade wieder intensiv als Saubermänn­er auf ihrer Lieblingss­pielwiese Heimatschu­tz anbieten. Womöglich mit einem der ihren als Schutzmini­ster. Gnade, nur das nicht!

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