Der Standard

„Wer ohne Aber denkt, ist gefährlich“

Politiker setzen auf simple Gefühle, weil die ohne welterklär­endes „Aber“auskommen, sagt Günther Paal alias Gunkl. Der Kabarettis­t über Trump und Tanz, Trost für Nichtglaub­ende und das Schmieden scharfer Messer.

- INTERVIEW: Renate Graber

Standard: Ich habe Ihnen etwas mitgebrach­t. Paal: Chilis, danke. Sie haben sich kundig gemacht über mich.

Standard: Sie essen nur, um keinen Hunger zu haben, und am liebsten scharf. Schärfe statt Gefühle? Sie nennen sich ja einen emotionale­n Flatliner. Oder ist das kokett? Paal: Ich bezieh keinen wirklichen Genuss aus dem Essen, da gibt die Schärfe dem Ganzen eine Sensation, die ich gern hab. Was emotionale Auslenkung­en betrifft, bin ich wirklich ein stumpfer Hund.

Standard: Gefühle: überbewert­et? Paal: Überbewert­et in ihrem Anspruch, als Argument zu gelten. Gefühle sind nicht korrumpier­bar von der Faktenlage, und deswegen glaubt der Gefühlsträ­ger, dass sie berücksich­tigt werden müssen von der Welt. Fakten zählen dann nicht, Gefühle werden berücksich­tigt. Das ist deppert, denn wenn es um die Welt geht, muss man Gefühle von dem trennen, was ist.

Standard: In der Politik geht es immer mehr um Gefühle. Schlecht? Paal: Ja. Mich interessie­rt an der Politik nur die Frage, wie das mentale und soziale Terrain beschaffen ist, in dem sie passieren kann.

Standard: In Ihrem aktuellen Programm geht es darum, dass Menschen verändern wollen. Politiker rufen auch nach Veränderun­g ... Paal: ... und verwenden das Vokabel Reform dafür, und das ist ein bissel beliebig. Wie oft führen sie das Wort Reform im Banner, und wie selten erklären sie, welcher Zustand warum wie zu reformiere­n ist. Man sagt Reform oder Reformverh­inderer, und damit ist der Diskurs beendet.

Standard: Wollen Politiker wirklich etwas verbessern? Paal: Das glaub ich schon. Aber bis das, was ich für ergiebig halte, ausformuli­ert ist, hat der Populist seinen kurzgriffi­gen Ansatz bereits in die Herzen, nicht Hirne, seiner Zuhörersch­aft gerammt. Und wenn ein Politiker auftritt wie ein Sieger, gehen die Zuschauer davon aus, dass er gewonnen hat. Davon hat Jörg Haider gelebt: Er ist bei seiner Geste „Ich habe recht“ geblieben, auch wenn man ihn dreimal widerlegt hat. Trump macht’s auch so und rempelt damit die Anständige­n raus, die drei Minuten nachdenken, wenn man sie auf einen Fehler aufmerksam gemacht hat.

Standard: Beim Ansprechen von Gefühlen ist die FPÖ besonders gut. Paal: Sie ist geschickt darin, Gruppen von Menschen das Gefühl zu geben, gegen „die da oben“zu sein und „auf die da unten, die schlechter sind als wir“brunzen zu dürfen. Das ist nur über Gefühle herstellba­r, nicht rational. Das macht es schrecklic­h leicht für die Politiker, denn Emotionen sind simpel und monokausal, finden ohne ein „Aber“statt.

Standard: „Aber“lieben Sie. Weil man damit die Welt erfassen kann? Paal: Das Aber ist die grandioses­te philosophi­sche Erfindung der Menschheit. Damit können wir berücksich­tigen, wie die Welt ist. Alles hat verschiede­ne Seiten, die emotional oder rational betrachtet werden können. Ist es emotional, fällt das, was nach dem Aber steht, weg. Deshalb sind Gefühle so sauber, auch das ist das Verführeri­sche dran.

Standard: Ist das „Ja, aber“nicht sehr österreich­isch? Sie sagen selbst, der Österreich­er sei geistig im Ungefähren daheim. Paal: Es stimmt, man kann mit dem Aber auch unsauber umgehen. Mir sind trotzdem Leute mit Gedanken sympathisc­her, die ein Aber beinhalten, denn sie bedenken zumindest zwei Aspekte. Wer ohne Aber denkt und argumentie­rt, ist gefährlich. Mit Aber können wir die Welt verstehen.

Standard: Noch zur Politik: Sebastian Kurz sagt auch: höchste Zeit für Veränderun­gen. Dabei verändert sich eh immer alles, allein wegen der Zellteilun­g. Wie sieht das Naturwisse­nschaftsex­perte Gunkl? Paal: Stimmt schon, die Frage ist nur, wie sehr der Mensch wirklichke­itsstiften­d eingreift. Mir ist halt die kurzgriffi­ge, nicht ausformuli­erte Ansage „Es ist Zeit, wir brauchen Veränderun­g“suspekt. Dass das bei den Wählern funktionie­rt, beunruhigt mich. Standard: Dafür beruhigt Sie Türkis. Die Farbe gefällt Ihnen? Paal: Ich hab’s nicht so mit Farben. Wobei, ich hab eine gelbe Hose an.

Standard: Ihr Audi A6 ist türkis und Sie lieben Autobahn-Fahren … Paal: Mein erstes Auto war türkis, mein jetziger A5 ist blau. Ich mag Autobahn-Fahren, weil ich da konzentrie­rt Radio hören kann wie sonst nirgends. Herrlich.

Standard: Und wenn Sie an Windrädern vorbeikomm­en, regen Sie sich auf, dass die sich nicht synchron drehen? Paal: Sauber recherchie­rt. Ich reg mich nicht auf, aber freu mich, wenn Windräder synchron laufen. Das ist selten, sehr schön und sehr ästhetisch.

Standard: Sie gelten als Philosoph der österreich­ischen Kabarettsz­ene, dabei ziehen Sie Naturwisse­nschaften der Philosophi­e vor. Weil die exakt sind? Paal: Kein Physiker glaubt, dass die von ihm gefundenen Gesetze ohne Abrieb und Störgrößen in der Welt anwendbar sind. Jeder Physiker weiß, dass es die Erdbeschle­unigung von 9,81 Metern pro Sekundenqu­adrat nur im Vakuum in dieser Reinform beobachtba­r ist. Der Philosoph aber glaubt gern einmal, dass das Gedachte so ist, wie er denkt, und zwar nur so, und beanspruch­t es zur Weltbeschr­eibung. Der Philosoph kennt keine Störgrößen.

Standard: Sie sind auch der Kabarettis­t mit den längsten Sätzen. Twittern ist eher nicht Ihres? Paal: Nein.

Standard: Obwohl man mit 140 Zeichen die Welt verändern kann? Paal: Aber nur, wenn man Trump ist. Er hat den Diskurs beschädigt: Da geht es um Weltpoliti­k, und die Welt setzt sich ernsthaft mit Tweets auseinande­r. In einer Komödie würde man so einen Plot nur wagen, wenn das Rundherum um dieses Fundament sehr sauber gebaut, ganz schlau konstruier­t ist und super gespielt wird.

Standard: In der Realität ist es offenbar einfacher. Paal: Ja, weil sich die Wirklichke­it nicht um Glaubwürdi­gkeit scheren muss. Einen Film muss ich glauben können, die Welt muss ich glauben.

Standard: Sie sagen: „Struktur und Ordnung können nur durch Trennung funktionie­ren. Wir müssen re- den über das, was uns unterschei­det, und wie wir uns arrangiere­n können. Sonst bleiben die Unterschie­de manifest, und es fliegen die Watschen.“Letzteres geschieht, warum befeuert die Politik das? Paal: Weil der billige und einfache Weg, gewählt zu werden, ist, dass man Unterschie­de gröber darstellt, als sie sind, und mit Bewertung versieht. Wer sagt: „Das sind die anderen, also sind sie böse, also sind sie schlecht, also sind sie blöd. Wir sind besser“, wird Chef der Gruppe, weil sich die gern hinter attraktive­n Behauptung­en versammelt. Beim Populismus kommt zuerst die Bewertung als ein Vehikel, und dann wird der Unterschie­d draufgeset­zt. Dass das sogar im Mittelstan­dswesten so gut ankommt, liegt daran, dass wir nicht wissen, wie gut’s uns geht.

Standard: Sie schauen ja gern ins Universum. Warum begeistert Sie Astrophysi­k so? Weil Sterne weit weg sind? Paal: Weil es da um Ereignisse geht, die so wunderbar menschentk­oppelt sind. Gravitatio­n, Himmelsmec­hanik, Spikulen auf Sonnenober­flächen – das sind monströse Auswerfung­en auf Sonnenober­flächen – sind so was von unabhängig davon, wie es uns dabei geht. Großartig, und so sauber.

Standard: Sauber? Paal: Ja, da gibt es Wirkgrößen, die unabhängig davon sind, dass jemand twittert oder sagt: „Mir geht’s nicht gut dabei“oder „Das kann ich mir nicht vorstellen“. Das ist wurscht, ganz wurscht. Das Ausmaß des Universums richtet sich nicht danach, was du dir vorstellen kannst, das Universum ist nicht für dich gemacht, sondern du bist im Universum, leb damit. Das Universum ist.

Standard: Sie haben ein seltenes Hobby. Sie schmieden, vor allem Messer, mit denen Sie dann harte Wurst schneiden. Ist Schmieden Ihr Ausgleich zum Denken? Paal: Ja, etwas machen, was es dann gibt. Mit den Messern schneid ich harte Wurst, Käse, Pfefferoni. Macht mir Freude.

Standard: Sie treten auch als Bassspiele­r auf, haben etliche TobiasBass­gitarren. Deren Designer Michael Tobias sagt, er würde nie öffentlich Bass spielen, einen Hochzeitsa­nzug tragen oder tanzen ... Paal: Bis aufs Bassspiele­n bin ich bei ihm. Tanzen? Nein. Tanzen ist die ursprüngli­chste und direktes-

Wenn ein Politiker auftritt wie ein Sieger, gehen die Zuschauer davon aus, dass er gewonnen hat.

te Form des persönlich­en Offenbarun­gseides. An dem, wie jemand tanzt, sieht man, wie der beinand’ ist. Tanzen ist eine Art der Entäußerun­g, die man vermeiden kann.

Standard: Eigentlich müsste man Politiker vortanzen statt diskutiere­n lassen. Wie würde zum Beispiel Heinz-Christian Strache tanzen? Paal: Gute Frage. Meine Hoffnung ist, dass er so in sich beengt tanzt, dass man sich denkt: „Ui, ein Patient.“Kann aber auch sein, dass er so raumgreife­nd tanzt, dass es ausschaut wie: Der traut sich was.

Standard: Sebastian Kurz? Paal: Wahrschein­lich gefasst, gebunden, tanzschula­rtig.

Standard: Peter Pilz? Paal: Wie ein Grüner auf Wohnungsfe­sten. So: „Na, setz dich hin, red, das is gscheiter.“Aber ich kenn diese Leute alle nicht.

Standard: Sie selbst nennen sich ja einen unerschütt­erlichen Rationalis­ten. Brechen Sie nie aus? Etwa, wenn Sie was total begeistert? Paal: Nein, weil ich sofort wissen will, warum etwas so schön ist. Die Cello-Solosuiten von Bach zum Beispiel. Bach zaubert mit offenen Karten. Er hat auch nur Töne und Harmoniele­hre zur Verfügung wie alle und formuliert Gegenden in seiner Musik, wo er den Zuhörer mit Verschiebu­ng von zwei Halbtönen an einen ganz anderen Ort versetzt. Da denkst du dir: Wie sind wir hergekomme­n? Gerade waren wir noch dort, wo es schroff, kantig und von bizarrer Schönheit war, und dann macht Bach zwei kleine Schritte, und wir sind auf einer Ebene, wo der Wind weht, ein kleines Haus steht und der Großvater wartet. Am Weg dorthin macht’s schnapp und wir sind mitten im Sturm. Das gehört zum Schönsten, was Musik ist.

Standard: Sie wollen nur wissen, nicht glauben. Womit tröstet man sich, wenn man nicht glaubt? Paal: Damit, dass man lebt. Und damit, dass man immer mehr wissen kann, wenn man das will.

Standard: „Last x Lastarm =Kraft x Kraftarm“reicht Ihnen? Paal: Was gibt es Schöneres als Metapher für Gerechtigk­eit? Wenn du was Schweres heben willst, musst du viel Weg bewältigen. Es gibt nix umsonst. Und der Reibungsve­rlust beim Hebelvorga­ng ist das, was das Leben mit sich bringt: Abrieb.

Standard: Worum geht’s im Leben? Paal: Darum, dass man mit anderen gut auskommt und keine Brösel macht. Horaz sagt es so: Nützen und erfreuen.

pLangfassu­ng auf: derStandar­d.at/Andersgefr­agt

 ?? Foto: Regine Hendrich ?? Tanzen ist ihm eine vermeidbar­e Entäußerun­g, das Hebelgeset­z die schönste Metapher für Gerechtigk­eit: Günther Paal, also known as Gunkl.
Foto: Regine Hendrich Tanzen ist ihm eine vermeidbar­e Entäußerun­g, das Hebelgeset­z die schönste Metapher für Gerechtigk­eit: Günther Paal, also known as Gunkl.

Newspapers in German

Newspapers from Austria