Der Standard

Ein Kuss ist nichts Geschlecht­liches

Ein reales Beispiel zeigt, dass es mitunter schwierig ist, sexuelle Übergriffe auch strafrecht­lich zu verfolgen. Insgesamt wird durch verschiede­ne Novellen der vergangene­n Jahre aber ein breiter Bereich abgedeckt.

- Michael Möseneder

Ist es sexuelle Belästigun­g, wenn man eine Kollegin mehrmals wöchentlic­h an sich zieht und ihr einen Kuss auf die Lippen drückt? Nein, zeigte sich bei einem Prozess, der vor einigen Wochen in Wien verhandelt wurde. Der 51-jährige Angeklagte, der in einem Betrieb der öffentlich­en Hand arbeitet, bekannte sich zwar sogar zum angeklagte­n Paragrafen 218 des Strafgeset­zbuchs für schuldig, verurteilt wurde er allerdings wegen Nötigung.

Denn, wie Verteidige­r Wolfgang Haas argumentie­rte: Für die sexuelle Belästigun­g sei es nötig, eine Person „durch eine geschlecht­liche Handlung“zu belästigen. Ein Kuss sei aber laut bestehende­r höchstrich­terlicher Rechtsprec­hung keine sexuelle Handlung. Einzig die Tatsache, dass er die 25 Jahre alte Frau dabei festhielt, machte aus Sicht der Richterin eine Verurteilu­ng möglich. Sie wertete das Delikt als Nötigung und verurteilt­e den Angeklagte­n zu drei Monaten bedingter Haft, die nicht im Strafregis­terauszug aufscheine­n.

Der Fall zeigt, zu welchen Schwierigk­eiten es kommen kann, wenn sexuelle Gewalt oder Belästigun­gen strafrecht­lich aufgearbei­tet werden. Vereinigt sind die entspreche­nden Paragrafen im zehnten Abschnitt des Strafgeset­zbuchs unter der Überschrif­t „Strafbare Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbest­immung“.

Am härtesten ist die Strafandro­hung bei Vergewalti­gung: Mindes- tens ein bis zu zehn Jahre Haft drohen, stirbt das Opfer, sogar lebenslang. Seit Jänner 2016 gibt es auch die Verletzung der sexuellen Selbstbest­immung: Bis zu zwei Jahre drohen, wenn man gegen den Willen des Opfers mit diesem Verkehr hat, aber keine direkte Gewalt anwendet.

Kommt es nicht zum Beischlaf, wie sich die Juristen ausdrücken, wird aber jemand mit Gewalt zu anderen „geschlecht­lichen Handlungen“gezwungen, greift die Geschlecht­liche Nötigung. Im Normalfall drohen hier sechs Monate bis fünf Jahre Gefängnis. Bis zu sechs Monate Haft oder eine einkommens­abhängige Geldstrafe droht für Sexuelle Belästigun­g, unter die auch das vor der Einführung kontrovers diskutiert­e „Pograpsche­n“fällt.

Letzteres ist übrigens kein Offizial-, sondern ein Ermächtigu­ngsdelikt. Das bedeutet, dass das Opfer einer strafrecht­lichen Verfolgung zustimmen muss, damit es zu einer Anklage kommen kann. Allerdings verbietet das einem Zeugen oder einer Zeugin nicht, den Vorfall bei der Polizei anzuzeigen.

Anders sieht es aus, wenn es zu keinem Körperkont­akt, sondern verbalen Belästigun­gen kommt. Die Strafverte­idiger Leonhard Kregcjk, Heike Sporn und Philipp Wolm sehen auf Anfrage des Standard keine Umstände, unter denen solche Äußerungen ein Fall für das Strafrecht werden könnten. Wobei es auf den genauen Wortlaut ankommt, wie Kregcjk einschränk­t – bei einer sehr konkreten Beschreibu­ng einer bevorstehe­nden Handlung könnte es sich um die Ankündigun­g eines Versuchs handeln und damit strafrecht­lich relevant werden.

Dass es Frauen aber oft überhaupt schwerfäll­t, sich juristisch zur Wehr zu setzen, zeigte sich im Fall der eingangs erwähnten 25-Jährigen. „Mir war das eklig, aber ich habe nicht gewusst, was ich machen soll. Ich habe es immer versteckt und geweint. Ich habe mich so geschämt, dass ich bis Ende Jänner nichts gesagt habe“, erklärte sie, warum sie dutzende Angriffe über sich ergehen ließ. Erst als sie sich an ihren Vorgesetzt­en wandte, gestand der Angeklagte sein Fehlverhal­ten ein und wurde versetzt.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria