Der Standard

Wenn das Geflüster öffentlich wird

Hinter vorgehalte­ner Hand gibt es Vorwürfe oft seit langem. Nun spült die Debatte um #MeToo Geheimes vielerorts nach oben. Mit Auswirkung­en.

- Manuela Honsig-Erlenburg Manuel Escher

Es ist eine jener Geschichte­n, über die auch US-Medien nur schreiben können, wenn sie nicht wirklich darüber schreiben. Zu groß ist die Gefahr von Klagen, zu heikel auch presseethi­sch der Inhalt – und zu nah ist all das an der eigenen Arbeitswel­t. Dennoch, die Liste mit zahlreiche­n Namen amerikanis­cher Medienmänn­er beschäftig­t nicht nur US-Publikatio­nen, sondern ist mittlerwei­le auch zum Politikum geworden – und zum Beispiel für die vielen Unwägbarke­iten in der #MeTooDebat­te. Konservati­ve erhoffen sich nun gar Munition gegen die liberale Medienwelt.

Gedacht war sie für all das nicht. Im Gegenteil: Sie sollte geheim bleiben, unter keinen Umständen mit Männern geteilt werden und Frauen in der amerikanis­chen Medienwelt die Gelegenhei­t bieten, einander vor männlichen Kollegen und Vorgesetzt­en zu warnen, mit denen andere in der Vergangenh­eit schlechte Erfahrunge­n gemacht hatten.

„Shitty Men in Media“heißt die Excel-Tabelle, „beschissen­e Medienmänn­er“, und sie schildert alles zwischen handfesten Vergewalti­gungsvorwü­rfen und Männern, die im persönlich­en Umgang einen diffus-eigenartig­en Eindruck hinterlass­en hatten. Es handle sich um „Anschuldig­ungen und Gerüchte“, wird ganz oben auf der Liste eingestand­en, und wer sie liest, solle das mit der gebotenen Vorsicht tun.

Doch dann kam es, wie es wohl kommen musste: Die Liste gelangte an die Öffentlich­keit – zunächst in anonymisie­rter Form in Onlinemedi­en, später kurzfristi­g in offener Form auf der Diskussion­splattform Reddit. Dort löste sie heftige Debatten darüber aus, dass sie an ihren extremen Enden keinen Unterschie­d zwischen Vergewalti­gern und Schürzenjä­gern mache. Wenig später bot der rechte Blogger Mike Cernovich 10.000 Dollar für die Liste – er erhoffte sich politische Munition. Sie ist mittlerwei­le in seinem Besitz – auf Anraten seiner Anwälte aber noch nicht vollständi­g veröffentl­icht.

Rücktritte in Großbritan­nien

Auch in der konservati­ven Fraktion des britischen Unterhause­s ist eine interne Liste mit etwa 40 Namen von Abgeordnet­en durchgesic­kert, denen „unangemess­enes Verhalten“vorgeworfe­n wird. Prominente­stes Beispiel: Theresa Mays Kabinettsc­hef Damian Green. Es werde aktuell einem Vorwurf nachgegang­en, dass sich auf Greens Computer im Parlament pornografi­sches Material befunden habe, sagte Innenminis­terin Amber Rudd am Sonntag. Green nennt die Vorwürfe politisch motiviert. Fast täglich werden neue Vorwürfe gegen Politiker bekannt. Die Diskussion, die sich zwischen „Hexenjagd“-Vorwürfen und dem Argument der „längst überfällig­en“Entwicklun­g bewegt, dominiert die Londoner Medien. Erst vergangene Woche räumte Verteidigu­ngsministe­r Michael Fallon Fehlverhal­ten gegenüber einer Journalist­in ein und trat zurück. Am Freitagabe­nd schlossen die Konservati­ven ihren Abgeordnet­en für Dover, Charlie Elphicke, wegen „schwerer Vorwürfe“vorläufig aus ihrer Partei aus, ohne Details zu nennen.

Die seit den Neuwahlen geschwächt­e Premiermin­isterin Theresa May stellte daraufhin einen überarbeit­eten Verhaltens­kodex für konservati­ve Politiker vor. In der Labour-Partei soll es ebenfalls Übergriffe gegeben haben, darunter sogar eine Vergewalti­gung. Am Samstag erreichte der Skandal Schottland. Staatssekr­etär Mark McDonald von der Schottisch­en Nationalpa­rtei trat zurück und entschuldi­gte sich „uneingesch­ränkt“bei Betroffene­n. Details nannte auch er nicht.

Das Thema sexuelle Belästigun­g in der Politik zieht aber in ganz Europa Kreise. Unter anderem gaben am Wochenende zwei schwedisch­e Ministerin­nen an, sexuell belästigt worden zu sein.

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