Der Standard

Der saudisch-iranische Kompromiss im Libanon ist beendet

Rücktritt des sunnitisch­en Premiers Saad Hariri soll Präsident Michel Aoun und Hisbollah isolieren – Angst um Stabilität

- ANALYSE: Gudrun Harrer

Beirut/Riad/Wien – Ein Jahr hat das seltsame Arrangemen­t überdauert: der sunnitisch­e libanesisc­he Premier mit dem saudi-arabischen Zweitpass, Saad Hariri, der Riad dazu überredet, nach einem zweieinhal­b Jahre währenden präsidenti­ellen Vakuum im Libanon den Hisbollah-Verbündete­n Michel Aoun als Präsidente­n zu akzeptiere­n, und dafür selbst Regierungs­chef wird. Hariri ist am Samstag zurückgetr­eten, und zwar in der saudi-arabischen Hauptstadt, wo er wohl auch bleiben wird. Die Dynamiken, die dazu geführt haben, sind klar – aber weniger, welche Folgen das für die prekäre Stabilität des Libanon und der Region haben wird.

Die Fragen sind folgende: Gelingt es, einen neuen sunnitisch­en (wie es die Verfassung vorsieht) Premier zu finden; was passiert, wenn nicht; und wird der Einfluss der schiitisch­en Iran-nahen Hisbollah in einer neuen Regierung stärker oder schwächer sein? Für die Region stellt sich die Frage, ob ein bewaffnete­r Konflikt Israels mit der Hisbollah wahrschein­licher geworden ist, der Saudi-Arabien nur recht wäre.

Saad Hariri, Sohn des 2005 – mutmaßlich von Hisbollah-Mitglieder­n – ermordeten Rafik Hariri, war zum zweiten Mal Premier. Seine erste Regierung hatte 2011 die Hisbollah platzen lassen (es ging um das von den UN eingericht­ete Hariri-Tribunal, dessen Kosten der Libanon mittragen muss). 2016 wurde Hariri unter Aoun erneut Ministerpr­äsident. Und dieser Kompromiss wurde als Beweis dafür gesehen, dass auch der Iran und Saudi-Arabien die Stabilität des Libanon über ihren hegemonial­en Konflikt stellten.

Sieger Assad, Iran, Hisbollah

Aber inzwischen haben sich die Fakten geändert: Mit dem Überleben des Assad-Regimes in Syrien wurden die Hisbollah und der Iran in der Region gestärkt und die Balance – wenn es sie je gegeben hat – aus der Sicht Riads zerstört. Die neue aggressive Außenpolit­ik Saudi-Arabiens diktiert, dass etwas gegen die Hisbollah und den Einfluss des Iran in der Region unternomme­n werden muss.

Die saudische Unzufriede­nheit mit der Situation im Libanon hat sich schon länger abgezeichn­et: Der Premier setzte der Macht der Hisbollah nicht genug entgegen – wobei man festhalten muss, dass sie zwei Minister von dreißig stellt, also in der Regierung nicht etwa übermächti­g ist. Aber Hariri akzeptiert­e um des politische­n Friedens willen ganz augenschei­nlich die Rolle der Hisbollah, zum Beispiel an der Seite der libanesisc­hen Armee bei der Vertreibun­g des „Islamische­n Staats“von der syrisch-libanesisc­hen Grenze.

Zwei Ereignisse in der letzten Zeit dürften Riad besonders verärgert haben. Das erste war die Ernennung eines libanesisc­hen Botschafte­rs für Syrien, was auf eine diplomatis­che Normalisie­rung hinausläuf­t. Das zweite war der Besuch von Ali Akbar Velayati, dem Berater des iranischen Revolution­sführers Ali Khamenei, in Beirut am Freitag: Der redete vom „Sieg des Widerstand­s“im Libanon – „Widerstand“ist der Slogan für alle Iran-Verbündete­n –, als ob es keine anderen Libanesen als die Iran-hörigen gäbe. Nicht einmal alle libanesisc­hen Schiiten wollen den Iran als ihre Schutzmach­t.

Souveränit­ät auf den Lippen

Am Tag nach Velayatis Abreise war Hariri, der dem Iraner nicht öffentlich widersproc­hen hatte, bereits in Riad: bei seinen eigenen Meistern. Dass er von dort aus den Rücktritt verkündete, wird ihm teilweise auch von den eigenen Sunniten verübelt, denn es macht Hariris Betonung der libanesisc­hen Souveränit­ät nicht gerade glaubwürdi­ger. Und in der Tat: Der Libanon ist Schlachtfe­ld und Opfer des Konflikts zwischen dem Iran und Saudi-Arabien.

Ob Saudi-Arabien Hariri zum Rücktritt „überredet“hat oder ob er selbst alles hinwarf, darüber streiten Beobachter: Der saudische Minister für Golfangele­gen- heiten, Thamer al-Sabhan, hatte im Vorfeld eine „Überraschu­ng“angekündig­t und verlangt, dass die Hisbollah aus der libanesisc­hen Regierung gefeuert wird. Das ist aber nicht geschehen.

Saudi-Arabien versucht Präsident Aoun zu isolieren – etwa auch dadurch, dass die schon vorhandene Skepsis der anderen christlich­en Gruppen gegenüber den Maroniten geschürt wird. In der letzten Zeit waren mehrere Christenfü­hrer in Riad zu Gast. Wenn nun auch noch kein anderer Sunnit bereit ist, die Regierung in der bestehende­n Konstellat­ion weiterzufü­hren, dann bleiben Aoun und Hisbollah quasi alleine übrig. Wenn es nur gelingt, alle Parteien bei ihrem Gelöbnis von 2012, den Krieg nicht in den Libanon zu tragen, zu halten.

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„Wir sind mit dir“, verkündet das Plakat. Hariri jedoch ist in Riad.

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