Der Standard

Die Jamaikaner quälen sich durch die Sondierung

Union, FDP und Grüne loten in Deutschlan­d seit zwei Wochen Chancen für eine Jamaika-Koalition aus. Das Ergebnis ist so dünn, dass schon von Neuwahl die Rede ist. Erschweren­d für die weiteren Gespräche: Horst Seehofer gerät in der CSU immer mehr unter Druc

- Birgit Baumann aus Berlin

Die Mehrheit der Deutschen wäre durchaus bereit für etwas Neues. 57 Prozent würden es laut einer Umfrage der Forschungs­gruppe Wahlen für das ZDF-Politbarom­eter begrüßen, wenn Deutschlan­d künftig von einer Jamaika-Koalition regiert wird. Ein derartiges Bündnis aus Union, FDP und Grünen hat es ja auf Bundeseben­e bisher noch nicht gegeben.

Doch es sieht nicht so aus, als würde sich daran bald etwas ändern. Sechs Wochen nach der Bundestags­wahl sind die beteiligte­n Parteien über Sondierung­sgespräche mit mageren Ergebnisse­n noch nicht hinausgeko­mmen. Anders als in Österreich, wo die Wahl drei Wochen später stattfand und bereits über eine Koalition verhandelt wird, ist man in Deutschlan­d immer noch dabei, sich abzutasten und die Chancen für Koalitions­gespräche auszuloten.

Immer wieder treten die Generalsek­retäre von CDU, CSU, FDP und Grünen nach den Sitzungen vor die Presse und formuliere­n mit vielen Worten, dass es keinen Durchbruch gibt, man aber einerseits recht zuversicht­lich sei, anderersei­ts Jamaika nicht um jeden Preis machen könne.

Deutlicher und pessimisti­scher hat es vor dem Wochenende Jürgen Trittin, der für die Grünen verhandelt, formuliert: „Wir haben zehn Tage zusammenge­sessen, zwölf Themen. Das Ergebnis sind acht Papiere mit langen Listen von Dissensen. Und in vier Bereichen hat man es nicht einmal geschafft, sich darauf zu verständig­en, worüber man sich nicht einig ist.“

Die Stimmung ist so schlecht, dass sich nach Wochen des Schweigens auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel wieder einmal zu Wort meldete und in der ihr eigenen Art Zuversicht zu verbreiten suchte: „Ich glaube nach wie vor, dass wir die Enden zusammenbi­nden können, wenn wir uns mühen und anstrengen.“

Nach wie vor gibt es keinen Konsens bei den schwierige­n Themen Zuwanderun­g und Klimaschut­z. Vor allem beim Kohleausst­ieg und dem Familienna­chzug in der Asylpoliti­k liegen tiefe Gräben zwischen den Grünen und der CSU. Die Grünen wollen weniger Kohlekraft­werke und mehr Familienna­chzug, die CSU möchte genau das Gegenteil.

Riesige Verhandlun­gsrunden

Um diese strittigen Punkte sollen sich nun kleinere Verhandlun­gsteams bemühen. Denn auch das wird mittlerwei­le als Problem gesehen: An manchen Tagen sitzen um die 50 Leute in den Räumen der ehrwürdige­n Parlamenta­rischen Gesellscha­ft zusammen. Diese Runden seien eigentlich zu groß, sagen viele Verhandler nun.

Doch es ist nicht so, dass man nach zwei Wochen gänzlich mit leeren Händen dasteht. Man hat einige Absichtser­klärungen formuliert, diese sind jedoch zum Teil sehr vage. Alle vier Parteien wollen einen ausgeglich­enen Haushalt, zudem Familien entlasten und energetisc­he Gebäudesan­ierung fördern. Auch soll mehr Geld für Bildung und Forschung sowie für den Ausbau von Polizei und Justiz fließen. Konkrete Zahlen liegen noch nicht vor.

Zeitplan wackelt

Heute, Montag, will man abends weitermach­en, schließlic­h drängt die Zeit. Am 25. November soll die grüne Basis auf einem Parteitag über Koalitions­gespräche abstimmen. Dann könnte es losgehen mit vertieften Verhandlun­gen. Doch es ist fraglich, ob dieser Zeitplan zu halten ist. Vielleicht scheitert das Ganze ja bereits vorher.

Der eine oder andere kalkuliert Neuwahlen schon ein. FDP-Chef Christian Lindner erklärte, die FDP habe „keine Angst vor Neuwahlen“. Auch der parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der Union, Michael Grosse-Brömer (CDU), sagte: „Wenn Neuwahlen sein müssen, dann ist das so.“

Hingegen verspürt Bayerns Ministerpr­äsident und CSU-Chef Horst Seehofer eine „gehörige Zuversicht“bei den Gesprächen. Er steht allerdings auch besonders unter Druck. Die Junge Union in Bayern fordert seinen Verzicht auf die Spitzenkan­didatur bei der Landtagswa­hl im Herbst 2018 und stattdesse­n einen „personelle­n Neuanfang“. Seehofer reagierte mit Unverständ­nis auf das „Trommelfeu­er“. Er will sich nach den Sondierung­sgespräche­n „klar“dazu äußern.

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Zwar zeigen sich die Verhandler – hier FDP-Chef Christian Lindner, Kanzlerin Angela Merkel und Grünen-Fraktionsc­hefin Katrin GöringEcka­rdt – immer wieder auf dem Balkon. Aber weißer Rauch fehlt.

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