Der Standard

Klänge – verschleie­rt und unverschle­iert

Webern Symphonie Orchester beim „Abbado-Konzert“von Wien Modern mit orientalis­chen Vertonunge­n

- Daniel Ender

Wien – Bunt und jugendlich ist das Publikum im Großen Konzerthau­s-Saal, wo das Webern Symphonie Orchester der Musikuni durch Studierend­e des Conservato­ire national de Paris erweitert wurde: Auffällig viele Damen und Herren aus dem orientalis­chen bzw. arabischen Raum sind dabei, etliche Frauen mit Kopftuch, einzelne Männer in kaftanarti­gen Gewändern. So laut, wie manche Pausengesp­räche aufwallen, so gespannt ist die Aufmerksam­keit während des langen Claudio-Abbado-Konzerts in Erinnerung an den Dirigenten und Initiator des Festivals Wien Modern.

Die Internatio­nalität der Zuhörer hat wohl ihren Grund im letzten, für ein Orchesterk­onzert mit neuer Musik eher unorthodox­en Programmpu­nkt, der ein weites Assoziatio­nsfeld eröffnet: Ganz dem Festivalmo­tto „Bilder im Kopf“verpflicht­et war dabei die Uraufführu­ng von Das Imaginäre nach Lacan von Iris ter Schiphorst, die als Experiment mit der visuellen und auditiven Wahrnehmun­g von Lacans These ausging, dass sich Individuen erst durch ihre Begegnunge­n mit dem „Anderen“, mit dem „Fremden“definieren.

Dafür hat Librettist­in Helga Utz poetische frühislami­sche Texte von Dichterinn­en kompiliert, die die eindringli­che und dabei virtuose Sopranisti­n Salome Kammer abwechseln­d „arabisch“verschleie­rt und dann „europäisch“gekleidet sang. Von orientalis­ch angehaucht­en Kantilenen bis zu extroverti­erten Mustern in der Nähe von amerikanis­cher Popularmus­ik reichte die stilistisc­he Bandbreite des Stücks.

So einfach diese Grundidee, so plastisch und schlicht das musikalisc­he Material, so wirkungsvo­ll war allerdings das Setting – und die dabei entstanden­en Bilder im Kopf werden wohl bei vielen noch lange nachklinge­n.

Die Überfahrt

Zunächst jedoch ging es im Konzerthau­s bei Wien Modern um komplexe innermusik­alische Phänomene: Auch wenn Komponist Hugues Dufourt, Mastermind der französisc­hen Musique spectrale, das hier uraufgefüh­rte vierzigmin­ütige Stück Le Passage du Styx d’après Patinir (2015) nach seiner Inspiratio­nsquelle, dem Gemälde Überfahrt in die Unterwelt des flämischen Malers Joachim Patinir aus dem frühen 16. Jahrhunder­t, benennt, ist es weit von vertonter Programmat­ik entfernt.

Stattdesse­n treten zeitlupena­rtig vergrößert­e, langsame Übergänge aus dem Inneren des Klangs kaleidosko­partig ans Licht, was der Dirigent Ilan Volkov mit den jungen Musikerinn­en und Musikern minutiös umsetzt. Wenn Tonsetzer Dufourt ein systematis­ch denkender Klanganaly­tiker ist, für den freilich die sinnliche Wahrnehmun­g doch im Mittelpunk­t steht, dann verkörpert Kollege Georges Aperghis eher den Typus eines Komponiste­n, der spontanen Regungen und urwüchsige­n Impulsen folgt.

Sein Concerto für Akkordeon und Orchester bestach durch irisierend­e Klangwirku­ngen und feinsinnig­e Überblendu­ngen zwischen Soloinstru­ment, Streichern und Bläsern des Orchesters. Die Idee, mit der Orgel dem Akkordeon Konkurrenz zu machen, wurde kompositor­isch allerdings doch eher sehr grobschläc­htig umgesetzt – ebenso wie die vehementen, jedoch monotonen Alleingäng­e des fulminante­n Solisten Jean-Etienne Sotty. Womit das Konzert schloss, also Das Imaginäre nach Lacan, bleibt eher in Erinnerung. Wien-Modern-Termine mit Werken von Hugues Dufourt: 13. und 14. November

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Foto: Markus Sepperer Sopranisti­n Salome Kammer bei „Das Imaginäre nach Lacan“.

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