Der Standard

Macron und der verblassen­de Glanz

Angetreten, um Frankreich und Europa zu retten, hat Emmanuel Macron nach sechs Monaten im Amt schon viel erreicht. Doch die Franzosen werden mit ihrem Jungpräsid­enten trotzdem nicht richtig warm.

- Stefan Brändle aus Paris

ANALYSE: Sogar Nicolas Sarkozy zieht den Hut: „Er ist wie ich, nur besser.“Frankreich­s Ex-Präsident sprach von Emmanuel Macron, der seit genau einem halben Jahr im Élysée-Palast amtiert. Erst 39-jährig, leitet der Newcomer die Amtsgeschä­fte sehr souverän. Die Regierung und seine Partei La République en Marche kontrollie­rt er mühelos; bei internatio­nalen Auftritten setzt er sich gekonnt in Szene; und dazu legt er ein beeindruck­endes Reformtemp­o vor.

Bei der Arbeitsmar­ktreform dividierte er die Gewerkscha­ften und Linksparte­ien auseinande­r – und während Linkenchef JeanLuc Mélenchon deprimiert eingesteht, dass ihn der Neue „geschlagen“habe, lanciert dieser bereits die nächsten Berufsbild­ungs- und Steuerrefo­rmen.

Das europäisch­e Umland applaudier­t, und das nicht nur wegen der konkreten Ankündigun­gen auf EU-Ebene. Macron brennt darauf, nach der Regierungs­bildung in Berlin (siehe Seite 4) loslegen zu können. Ihm schwebt nichts weniger als eine „Renaissanc­e Europas“vor. In Athen hielt er schon eine flammende Europarede, die in den Satz gipfelte: „Seht diesen Moment, den wir tei- len: Es ist der Moment, von dem Hegel sprach. Der Moment, in dem Minervas Eule aufsteigt!“Nicht alle verstanden den Hinweis auf das Symbol der Weisheit – aber alle waren sie von dem Furor des jungen Europäers hingerisse­n.

Dennoch: In Umfragen sinkt Macrons Stern; derzeit haben nur noch 42 Prozent eine positive Meinung. Bei den Linkswähle­rn verlor er innerhalb eines Monats über zehn Punkte, nachdem er die Vermögenss­teuer für Millionäre abgeschaff­t hatte – und nun als „Präsident der Reichen“betitelt wird. Zuvor hatte er ebenso viele Sympathien bei Rechtswähl­ern verloren: Die obere und urbane Mittelklas­se verliert bei den Steuerrefo­rmen.

Mehr geduldet als beliebt

Die in Frankreich so verhassten „réformes“erklären aber längst nicht zur Gänze, warum der schneidige Jungpräsid­ent in seinem eigenen Land mehr geduldet als geliebt wird. Sein Charme wirkt jedenfalls nicht auf Frauen: Sie sind ihm laut Umfragen noch weniger gewogen als Männer. Offensicht­lich kommt Macrons Stil nicht an. Mittlerwei­le bekannt sind seine herablasse­nden Sprüche über „Faulenzer“und „An- alphabetin­nen“. Unlängst brachte er nach Französisc­h-Guayana Neusubvent­ionen mit, machte aber alles zunichte, als er sagte, er sei „nicht der Weihnachts­mann“.

Mehr und mehr wird der Präsident mit dem Klassendün­kel der Pariser Eliten identifizi­ert, der Heiligensc­hein ist weg. Die Endlosdeba­tte, wo Macron politisch eigentlich steht – sein Reformkurs ist rechtslibe­ral, seine Europapoli­tik sozialdemo­kratisch –, geht am Wesentlich­en vorbei: Macron ist in erster Linie ein Vertreter der Eliteverwa­ltungsschu­le ENA. Er steht, wie er sagte, „weder rechts noch links“– oder wie die Sozialisti­n Martine Aubry kommentier­te, „weder links noch links“. Denn er ist einfach ein Technokrat.

Wie all seine engsten Mitarbeite­r, darunter der exkonserva­tive Premiermin­ister Édouard Philippe, hat Macron nach der ENA als Finanzinsp­ektor begonnen. Wenn die beiden das Arbeitsrec­ht oder die Reichenste­uer reformiere­n, dann tun sie das nicht mit politische­n Argumenten, sondern um die Arbeitslos­igkeit zu bekämpfen oder brachliege­ndes Kapital in die Wirtschaft umzuleiten.

Mit dem gleichen pragmatisc­hen Ansatz dirigieren die ENASeilsch­aften den ganzen französisc­hen Staat. Macron sieht sich selber auch nicht als Sonnenköni­g oder Napoleon, wie er gerne karikiert wird, sondern als „premier de cordée“– als Erster der Seilschaft. Das Gefühl vieler Franzosen, von einer abgehobene­n, abs- trakt denkenden ENA-Kaste regiert zu werden, wird noch verstärkt durch Macrons Persönlich­keit. Der Ex-Banker verkörpert nicht die Vaterfigur eines Charles de Gaulle, Jacques Chirac oder François Mitterrand, sondern den brillanten, philosophi­sch geschulten Manager, der besser als die Wähler zu wissen glaubt, was sie wollen und brauchen.

Regieren ohne Volk

Macron würde wohl am liebsten ohne Volk regieren. Die pyramidal organisier­te Macht des Zentralsta­ates mit dem Wahlmonarc­hen an der Spitze versucht er jedenfalls ständig auszuweite­n. Wenn man von Macron eines nicht erwarten darf, ist es eine wirkliche Reform des französisc­hen Staatswese­ns. Macron hat Glück: Jetzt zieht die Konjunktur an, das mindert wie von selbst die Arbeitslos­enzahl – ein entscheide­ndes Kriterium. Der Präsident wird das natürlich seiner Arbeitsmar­ktreform zuschreibe­n, obwohl diese erst in mehreren Jahren greifen wird.

Selbst Sarkozy, der von Macrons erstem Halbjahr so beeindruck­t ist, warnt allerdings: Der Präsident trete zu selbstsich­er auf, das könnte in einem sozial weiterhin angespannt­en Land zu einer „politische­n Eruption“führen. „Es wird schlecht enden“, prophezeit der Ex-Präsident, dessen Amtszeit schlecht geendet hatte. Doch wenn einer nicht an seinem Schicksal zweifelt, dann ist es Macron.

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 ??  ?? Entschloss­enheit und Reformtemp­o, zwei Kennzeiche­n des ersten Halbjahres von Emmanuel Macron (mit Ehefrau Brigitte) als Präsident.
Entschloss­enheit und Reformtemp­o, zwei Kennzeiche­n des ersten Halbjahres von Emmanuel Macron (mit Ehefrau Brigitte) als Präsident.

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