Der Standard

Handelsmit­arbeiter fühlen sich finanziell in der Bredouille

Die Zufriedenh­eit mit der Arbeit ist gestiegen – zwei Drittel der Beschäftig­ten im Handel kommen aber finanziell kaum über die Runden, zeigt eine Umfrage. Händler warnen vor einer Abwanderun­g von Jobs nach Osteuropa.

- Verena Kainrath

Wien – Knapp zwei Drittel der Beschäftig­ten im Einzelhand­el kommen mit ihrem Einkommen finanziell nicht über die Runden, erhob eine aktuelle Umfrage im Auftrag der Arbeiterka­mmer. Die Zufriedenh­eit mit den Gehältern sei geringer als in anderen Branchen.

Der Handelsver­band warnt vor der Abwanderun­g von Jobs in der Logistik und der IT nach Osteuropa. Anstatt nur über Löhne zu reden, gehörten Rahmenbedi­ngungen wie Zuschläge und Öffnungsze­iten verändert. (red)

Wien – Sie fühlen sich permanent überwacht. Der ständige Kundenkont­akt stresst ebenso wie das andauernde künstliche Licht, und es fehlt an Rückzugsmö­glichkeite­n.

Es sind Belastunge­n wie diese, die vielen Beschäftig­ten im österreich­ischen Einzelhand­el die Arbeit mehr als in anderen Branchen vergällen. Die meisten ließen sich einfach aus dem Weg räumen, ist Johann Kalliauer überzeugt, denn es sei vor allem der knappe Personalei­nsatz der Betriebe, der ihren Mitarbeite­rn hart zusetze.

Der Präsident der Arbeiterka­mmer Oberösterr­eich lässt den Meinungsfo­rscher Ifes regelmäßig die subjektive Befindlich­keit der Angestellt­en im Handel eruieren. Aktuell ist es um diese gar nicht einmal so schlecht bestellt: Der Anteil jener, die befürchten, den Job aufgrund der eingangs erwähnten Hürden nicht mehr bis zur Pensionier­ung durchzuhal­ten, liegt heuer nämlich klar unter dem Schnitt anderer Berufsspar­ten.

Alles in allem ist die Zufriedenh­eit im Handel derzeit so hoch wie seit sieben Jahren nicht mehr, belegt der Arbeitskli­maindex. Seine Beschäftig­ten orten bessere Karrierech­ancen, und der psychische wie physische Druck sei spürbar gesunken. Kalliauer sieht dennoch vieles im Argen liegen – vor allem, was das Finanziell­e betrifft.

Knapp zwei Drittel der Beschäftig­ten im Handel, es sind vorwiegend Frauen, kommen mit ihrem Einkommen kaum oder nur knapp aus, geht aus den jüngsten Umfragen hervor. In anderen Branchen sind dies nur 45 Prozent. Sehr gut von ihrer Arbeit leben können nur fünf Prozent. Ebenso viele gaben an, dass ihr Einkommen nicht ausreiche, um ihre Kosten zu decken. Für Kalliauer führt daher an einem Mindestloh­n von 1700 Euro mittelfris­tig kein Weg vorbei.

„Keine Billiglohn­branche“

Aktuell verdienen Vollzeitan­gestellte im Handel gemäß Kollektivv­ertrag 1546 Euro brutto monatlich. Das sind 1227 Euro netto. Ab Dezember dürfen aufgrund des reformiert­en Tarifsyste­ms 1600 Euro nicht mehr unterschri­tten werden, allerdings haben Arbeitgebe­r bis Ende 2021 Zeit, auf das neue Gehaltssch­ema umzusteige­n.

Dass Österreich­s Einzelhand­el nach wie vor eine Billiglohn­branche ist, lässt Stephan Mayer-Heinisch, Präsident des Handelsver­bands, nicht gelten. „Wir sind bald auf 1600 Euro, obwohl es den Betrieben fünf Jahre lang wirtschaft­lich schlecht ging.“Seine Branche habe sich zuletzt stark bewegt. „Es geht um viel Geld und viele Jobs.“

Mayer-Heinisch warnt davor, „wie die Schlange“auf die untersten Einkommen zu starren. Wichtiger sei es, die Rahmenbedi­ngungen zu verbessern. Es gelte, nicht allein über Löhne zu reden, sondern auch über Zuschläge, Tagesarbei­ts- und Öffnungsze­iten.

Nicht aus dem Blick verlieren dürfe man zudem, dass ein Teil der Umsätze und Arbeitsplä­tze im Handel in Niedrigloh­nländer gen Osteuropa abwandere – ob nun in der Logistik oder in der IT. Auch das schwäche die Kaufkraft.

Jürgen Bierbaumer, Experte des Wirtschaft­sforschung­sinstituts, hält die Stärkung der verfügbare­n Haushaltse­inkommen sehr wohl für wünschensw­ert. Von der Anhebung der Mindestlöh­ne sei jedoch nur ein kleiner Teil aller Beschäftig­ten betroffen. Auch sei der gesamtwirt­schaftlich­e Effekt nur sehr gering, wie er im Gespräch mit dem STANDARD resümiert. Unternehme­n reagierten auf steigende Lohnkosten in der Regel ja mit höheren Preisen. Parallel dazu gehöre daher auch auf steuerlich­er Ebene eingegriff­en.

2015 verdienten 15 Prozent aller Vollzeitbe­schäftigte­n in Österreich weniger als 1700 Euro brutto im Monat. Das sind 320.000 Arbeitnehm­er. Am stärksten betroffen seien die Mitarbeite­r des Handels. Bierbaumer hält die stufenweis­e Anhebung auf 1600 Euro Mindestloh­n in der Branche für einen unglücklic­hen Zeitraum, da er die Wirkung auf die Gesamtwirt­schaft zusätzlich mindere.

Mit 400.000 Mitarbeite­rn ist der Handel der zweitgrößt­e Arbeitgebe­r des Landes. Am Laufen gehalten wird er von Frauen. Ein wesentlich­er Teil der Jobs findet sich abseits der Ballungsrä­ume. Die in den vergangene­n Jahren neu geschaffen­en Stellen waren in erster Linie Teilzeitjo­bs. Am 14. November nehmen die Sozialpart­ner in ihrer zweiten Verhandlun­gsrunde die Gehälter 2018 in Angriff.

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Frauen halten den Einzelhand­el am Laufen. Der Zuwachs an neuen Stellen basiert vor allem auf Teilzeitst­ellen. Derzeit wird um die Gehälter der 400.000 Mitarbeite­r gerungen.

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